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Sisters zu Besuch bei KARO e.V. in Plauen – Impressionen einer Reise

Ein Wochenende in Sachsen. Da, wo Deutschland aufhört und Tschechien anfängt. Da, wo die Luft frisch ist, Wohnraum fast nichts kostet, es dafür aber zu wenig Arbeit für zu viel Arbeitssuchende gibt. Und wo die Straßen selbst Samstagsmittag erstaunlich leer sind. Jedenfalls dann, wenn man aus Stuttgart kommt und einem Gedränge und Lärm in Feinstaubwolken nicht ganz fremd ist.

Wir haben mit Tristesse gerechnet. Hätte auch zu dem gepasst, was man von der Prostitutionsszene im grenznahen Osten der Republik so weiß. Doch dann kam Cathrin: knallrote Haare, schwarze Hose, bunte Stiefel, Jacke mit flauschigem Regenbogenpelzbesatz und ein breites freundliches Willkommenslächeln. Das ist also der Osten. Wir sind da, wo Cathrin Schauer-Keplin mit KARO eine Institution gegen die wuchernde Gewalt gegen Frauen und Kinder etabliert hat.

 

Natürlich möchten wir alles sehen: die Büroräume, die Wohnung für die Opfer ritueller Gewalt, das Schutzhaus, die Babyklappe, die Therapie- und Beratungsräume. Die Orte, wo Frauen und Kindern geholfen wird und sie die Chance auf ein Leben jenseits von Gewalt und Prostitution erhalten.

Die Größe von KARO ist beeindruckend. Alleine das Schutzhaus bietet Platz für 20 Frauen und Kinder. Große helle freundliche Zimmer. Jedes Einzelne ist liebevoll und sehr gemütlich eingerichtet. Wohlfühlräume.

Ein Sportraum, in dem Stepper, Trampolin, Bälle zur Bewegung einladen.

Küchen, in denen gerade Frauen lecker riechendes Essen zubereiten und ein riesiger freundlicher Gemeinschaftsraum mit Spielecke und dem Quäken eines Babys, das gerade mal eine Woche alt ist.

Wir merken schnell: das Konzept von KARO lässt kein Chaos zu. Und keine Unachtsamkeit, keine Lieblosigkeit und keine Gleichgültigkeit.

Und dann die Therapieräume, in denen gesprochen, gelacht, geweint und geträumt wird. Und gemalt und gebastelt und gebaut. Später, im Bürogebäude, Listen und Pläne,  plötzlich merkt man, dass hier elf Menschen arbeiten. In Voll- und Teilzeit. Ziemlich organisiert das Ganze.

An den Wänden hängen übergroß die Schecks der Spender, die über die vielen Jahre die Arbeit von KARO ermöglicht haben. Und Cathrin erzählt, dass überhaupt alles damit anfing, dass sie von Alice Schwarzer eine riesige Spende bekommen hatten. Alice hatte bei Jauch gewonnen und dieses Geld an KARO überweisen lassen, damit die für die vielen prostituierten Frauen wirksame Hilfen aufbauen können. Und genau das hat KARO dann getan.

Es gibt viel zu erzählen und wir wollen so viel wissen: Wie geht es den Frauen? Wie finden sie den Weg zu KARO? Und was geschieht dann, wenn sie hier sind?

Die MitarbeiterInnen von KARO sind ständig unterwegs. In den Wohnungsbordellen in Plauen genauso wie auf dem Straßenstrich in Cheb, auf dem ausgemergelte Mädchen von Sexkäufern auch schon für fünf Euro benutzt werden können. „Benutzt“ ist immer noch viel zu harmlos ausgedrückt – misshandelt und gefoltert trifft es da schon eher. Kinder, die in die Autos mit deutschem Kennzeichen steigen; junge Mädchen, denen das Chrystal schon jeden Zahn geraubt hat und die taumelnd am Straßenrand stehen und auf Sexkäufer warten. Zerstörte Haut, zerstörte Körper, zerstörte Seelen. Den gemeinen Freier stört das nicht. Im Gegenteil. „Elend fickt sich gut“ hat ein Sexkäufer zu einer unserer Aussteigerinnen gesagt.

Cathrin erzählt, wie sie an einem Abend einen, aus dessen Auto gerade ein kleiner Junge gestiegen ist, zur Rede gestellt hat. Und als der dann sagte, „Da fahren doch viele her und meine Freundin ist schwanger“, ist ihr doch tatsächlich die Hand ausgerutscht. Als würde es etwas nützen. Solange nicht mal bestehende Gesetze durchgesetzt werden, solange Frauen und Kinder Freiwild sind, solange nicht hingeschaut und gehandelt wird, ändert sich da gar nichts. Erstaunlich sowieso, wie uninteressiert die Polizei in Sachsen an der Information über diese Art Straftaten ist.

Im Moment ist Sachsen gerade dabei, eine Durchführungsverordnung für das Prostituiertenschutzgesetz zu erarbeiten. Der Landtag hat dazu „Experten und Expertinnen“ zur Anhörung eingeladen. Dass KARO nicht dabei ist, erst ein- und dann wieder ausgeladen wurde, erstaunt uns nicht. Cathrin auch nicht. Denn niemand von KARO könnte PolitikerInnen berichten, dass „alles ganz in Ordnung“ ist und Prostitution „kein Problem“. Da holt man sich dann lieber ein paar von den Lobbyistinnen in den Landtag, die die gern gehörten Lügen vom nützlichen Sexgewerbe und den glücklichen Sexarbeiterinnen aufsagen.

Die Lebenslage der tausenden Frauen, mit denen es KARO zu tun hat, die mitunter so traumatisiert sind, dass sie nicht mehr sprechen, essen und schlafen können, bleibt unerzählt und ungehört. Wieder mal.

Im großen hellen Treppenhaus bei KARO hängen Collagen und Bilder an der Wand, die die Bewohnerinnen in den Therapiestunden gefertigt haben. Sie sind verstörend ehrlich, geben Einblicke in das Seelenleben der Frauen und Kinder.

Politiker und Politikerinnen sollten sich mal nach Plauen bemühen und um eine Führung durch dieses Treppenhaus bitten. Dort an der Wand hängen die eindrücklichen Aussagen von den wirklichen Expertinnen. Die, die wissen wovon sie reden, weil sie es am eigenen Leib erfahren haben.

Lange bleiben wir an der Babyklappe stehen. Ein Kuscheltier liegt im Bettchen und ein Zettel für die Mutter, mit einem Codenamen drauf, der sie, wenn sie einmal kann und möchte, ihr Kind wiederfinden lässt. Einmal lag ein Baby in der Klappe, das noch voll Babyschmiere war, nicht abgenabelt, der Mutterkuchen in einer Mülltüte. Hat sie das Kind in dem kleinen Vorraum bekommen? Und wie geht es dem Baby jetzt? KARO muss aushalten, darüber nichts zu erfahren. Wird die Klappe geöffnet geht sieben Minuten später der Alarm los und der Rettungswagen fährt los. Die Sanitäter sind die einzigen, die das Wärmebett öffnen, das Baby rausholen und in die Kinderklinik fahren dürfen.

Ausgehalten werden muss so einiges von den Mitarbeiterinnen bei KARO. Das Desinteresse der Kommunalverwaltung, ein so erfolgreiches Projekt finanziell abzusichern, zum Beispiel.

SISTERS wird auch in Plauen eine Ortsgruppe gründen und die wichtige Arbeit von KARO unterstützen. Wir freuen uns drauf.