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„Das Gesetz kann auch etwas verbessern“ – ein Kommentar von Sabine Constabel

Ausschnitt aus einer Collage bei KARO e.V.

Landauf landab ist zu lesen, dass das Prostituierten-Schutzgesetz (ProstSchG) völlig ungeeignet ist, irgendetwas zum Positiven für die Prostituierten zu bewirken. Dem ist nicht so, denn damit werden erstmals Regeln aufgestellt, die der Prostituierten unmittelbar zu Gute kommen. Ein Kommentar von Sabine Constabel.Angefangen damit, dass einschlägig verurteilte Personen (z. B. wegen Menschenhandel und Zuhälterei) keinen Prostitutionsbetrieb betreiben können, bis dahin, dass die Kasernierung von Frauen in Bordellen nicht mehr möglich ist. Denn jetzt gibt es die „Zwei-Zimmer-Regelung“, die besagt, dass die Prostituierten außerhalb ihres „Arbeitsraumes“ noch einen privaten Raum haben müssen. Es ist nicht mehr erlaubt, dass Frauen in Bordellen übernachten. Damit werden Richtlinien, die in anderen Arbeitszusammenhängen selbstverständlich sind, erstmals auch für Prostituierte verbindlich.

Gleichzeitig greifen auch Regelungen, die unmittelbar der Sicherheit der Prostituierten zu Gute kommen. Hier sind die Kondompflicht und der Notruf /Alarmknopf im Arbeitsraum nur Beispiele.

Erfreulich ist die Vorgabe des Gesetzgebers, der jetzt die Ausstellung von Quittungen und Belegen vorschreibt. Jahrzehntelang hat der allergrößte Anteil der Prostituierten über ihre Zimmermieten keine Quittung erhalten. Damit war es ihnen oft beim Ausstieg unmöglich ihren selbstständigen Aufenthalt in Deutschland nachzuweisen und darüber dann ihren Leistungsanspruch gegenüber dem Jobcenter zu begründen.

Was den prostituierten Frauen hilft, missfällt den Profiteuren

So gibt es viele Vorgaben, die sich ganz direkt auf die Verbesserung der Lebensrealität in der Prostitution auswirken und es den ausbeutenden Personen schwerer machen mit den Prostituierten Geld zu verdienen. Da allerdings die meisten BetreiberInnen von Prostitutionsbetrieben nicht Männer, sondern Frauen sind, die sich selbst als „Sexarbeiterinnen“ bezeichnen und in einschlägigen Interessenverbänden tummeln, zeichnen sie in der Öffentlichkeit ein Bild über das ProstSchG, das mit der Realität nur sehr wenig zu tun hat. Ursache dafür ist, dass diejenigen Regelungen, die für die prostituierten Frauen Verbesserungen bringen, für die BetreiberInnen ausgesprochen einschränkend sind und durchaus auch deren wirtschaftliche Existenz gefährden können.

Angefangen bei der Steuerpflicht, die verständlicherweise zu umgehen um einiges leichter war, als die Ausstellung von Belege über Einnahmen zwar immer Pflicht, jedoch in der Praxis schwer überprüfbar war. Das öffentliche Aufbegehren über den Prostituiertenausweis hat auch viel damit zu tun. Denn kein Ausweis, keine Meldepflicht, kein ämterübergreifender Datenaustausch, keine Belegpflicht wirkt sich positiver auf die realen Einnahmen der BetreiberInnen aus, als wenn der Geldfluss in Bordellen dokumentiert werden muss. Einnahmen übrigens, die die BetreiberInnen nahezu ausschließlich über die Mietzahlungen der prostituierten Frauen generieren.

Wer soll eigentlich geschützt werden?

Schon auf den Websites der Bordelle ist schnell zu erkennen, dass der allergrößte Teil der Prostituierten aus Rumänien kommt und viele der Frauen sehr jung sind. Das sind genau die Frauen, die das ProstSchG schützen möchte. Wenigstens ein bisschen. Weil sie meistens keine „Berufserfahrung“ haben, die Sprache nicht sprechen und schon deshalb nicht auf Augenhöhe mit dem Sexkäufer die „Dienstleistung“ verhandeln können. Ganz abgesehen davon, dass die meisten dieser Frauen natürlich nicht eigenständig ihre Reise nach Deutschland ins das Bordell einer bestimmten Stadt organisiert und finanziert haben. Das kann eine 18jährige Rumänin aus einer ländlichen Region eher nicht. Was aber funktioniert, ist, dass sie die Bekanntschaft eines jungen Mannes macht, der ihr die Geschichte von der großen Liebe erzählt und sie dann „gemeinsam“ beschließen in Deutschland ihr Glück zu suchen. Dass das dann so aussieht, dass sie in einem Bordell sitzt und er sich in Cafés und Kneipen derweil die Zeit vertreibt, ist zu Beginn keinen der über diese Loverboymasche angeworbenen jungen Frauen klar.

Diese Frauen treffen wir überall, hören immer wieder dieselben Geschichten und wir kennen kaum eine, die bereit ist ihren Zuhälter anzuzeigen. Zu groß die emotionale Abhängigkeit, zu groß die eigenen Schuldgefühle und zu groß die Illusion, dass sich das eigene Elend irgendwann auflösen wird. Und das ist nur eine der Erklärungen, weshalb diese paar hundert Menschenhandelsverfahren in Deutschland nicht das Ausmaß der Verbrechen gegen diese Frauen widerspiegeln können.

Die Prostitutionsindustrie braucht Zwangs- und Armutsprostituierte

Dieser Realität zum Trotz beziehen sich die LobbyistInnen der Prostitutionsindustrie immer und immer wieder ausschließlich auf die paar sogenannten freiwilligen Prostituierten. Die, die sich frei und selbstbestimmt zu diesem Job entschieden haben und für deren Belange sie einzutreten vorgeben. Ja, es gibt diese Frauen tatsächlich. Doch findet man sie kaum in den gängigen groß- und mittelständischen Unternehmen der Prostitutionsindustrie. Jedenfalls nicht als einfache Prostituierte.

Das hat Gründe: der gängige Preis für eine Basisleistung in der Prostitution (Geschlechtsverkehr mit Stellungswechsel und Oralverkehr) liegt bei 30 Euro. Das sind zumeist die sogenannten „Standards“ in einem Betrieb. Die Tagesmiete für ein Bordellzimmer liegt zwischen 120 und 250 Euro. Wer sich jetzt die Kosten des Lebensunterhalts für eine Selbstständige errechnet, merkt schnell, dass das auf Dauer mit Prostitution nicht zu erwirtschaften ist. Nicht, wenn auch noch eine Krankenversicherung, eine eigene Wohnung und ein Privatleben zum Leben gehören soll. .
So viel Penetration hält keine Frau aus.

Wenn man nun allerdings die Ansprüche reduziert, bzw. reduzieren muss, und es nur noch darum geht am Tag ein bisschen Geld übrig zu haben, wenn man auf jegliche soziale Absicherung und auf ein „normales“ Leben jenseits der Prostitution verzichtet, bzw. verzichten muss, dann geht das mit der Prostitution. Und genau deshalb finden sich in diesen Bordellen so gut wie keine deutschen Frauen, sondern durchweg die sogenannten Armutsprostituierten.

Die Lebenslagen unterscheiden sich

Deutsche, bzw. sozial abgesicherte Frauen, die nicht gleichzeitig auch Betreiberinnen sind, findet man eher in den Randsegmenten der Prostitutionsindustrie. Randsegmente, die dadurch existieren können, dass es ein florierendes Standartsegment mit Armutsprostituierten mit seinem sehr kundenfreundlichen Preis-Leistungsverhältnis gibt. In den Randsegmenten finden sich die SM-Studios, die hochklassigeren Escort-Agenturen, Tantra-Studios und ähnliches. Allen gemein ist, dass sie Sprachkenntnisse erfordern und darüber hinaus oft auch noch professionelle Praktiken.

Je größer und selbstverständlicher der Prostitutionsmarkt floriert, umso umfänglicher dessen Rand mit den Möglichkeiten, dort Angebote zu platzieren. Einer Domina reichen auch mal drei Kunden am Tag um kostendeckend arbeiten zu können. Und eine Studentin, die über eine Escort-Agentur ein paar Mal im Monat Sexkäufer bedient, hat sich damit ein recht gutes Taschengeld verdient. Sozial abgesichert ist sie über andere Gegebenheiten.

So ist leicht zu erkennen, dass sich die Lebenslage der nebenberuflichen Prostituierten und der Betreiberin von der großen Masse der Prostituierten diametral unterscheidet. Die nebenberufliche
Prostituierte benötigt keine Quittung, und sie will nicht aus dem Dunkelfeld. Wozu auch? Sie benötigt auch kein Informationsgespräch, denn wenn sie sich über ihre Rechte informieren möchte, kann sie das leicht im Internet. Vieles ist ihr sowieso bekannt. Und wenn sie krank wird, geht sie zum Arzt, das ist kein Problem, abgesichert ist sie auch. Wenn sie ihre Wohnung verliert, ist sie leistungsberechtigt und kann Hilfe erhalten, wenn sie morgen nicht mehr in der Prostitution tätig sein möchte, kann sie das, ganz ohne dann gleichzeitig die Unterkunft und die einzige Möglichkeit an Geld zu kommen, zu verlieren.

Dass das Entkommen aus der Prostitution dennoch auch für deutsche und leistungsberechtigte Frauen oftmals unendlich schwer ist und sie mitunter Jahre brauchen, um sich aus den dort bestehenden Zwängen zu lösen, bleibt trotzdem die schreckliche Realität der Prostitution.

Mehr Wirkung war nicht erwünscht

Hätte das ProstSchG wirksamer werden sollen, dann wären da noch andere Regelungen zu lesen. Zum Beispiel die, dass Frauen erst ab 21Jahren der Prostitution nachgehen dürfen. Weil Prostitution mit so großen Risiken für die physische und psychische Gesundheit behaftet ist, dass gerade 18jährige einfach zu jung und zu unerfahren sind, um diese abschätzen zu können. Und Schwangere dürften grundsätzlich nicht mehr in der Prostitution vermarktet werden, denn der käufliche Sex mit Hochschwangeren ist eines der besonders verabscheuungswürdigen Geschäftsmodelle.

Dann müsste jede Frau eine in Deutschland einsetzbare Krankenversicherung vorweisen, bevor sie diese hochgefährliche Tätigkeit aufnehmen darf. Dann wäre „Ausbeutung“ juristisch so definiert, dass die Polizei endlich eine Handhabe hätte, um gegen die parasitären Personen im Umfeld der Prostituierten vorzugehen. Und vieles mehr. Das ProstSchG leistet all das nicht. Obwohl von Anfang an aus den Reihen der Polizei und anderen ExpertInnen immer wieder deutlich gemacht wurde, welche Regelungen notwendig sind, um die Frauen wirksamer zu schützen. Dass derartige Regelungen nicht getroffen wurden ist kein Zufall und kein Versehen. Viel eher liegt die Vermutung nahe, dass die Wirksamkeit des ProstSchG geplant in sehr engen Schranken bleiben sollte. Zu groß war das Risiko, dass offenbar wird, dass nahezu alle prostituierten Frauen von Zwang, Armut und großer Not betroffen sind und die sogenannte „Freiwilligkeit“ in der Prostitution mehr Mythos als Realität ist.

Doch in den Beratungen rund ums ProstSchG standen sich diejenigen, die schärfe Regeln zum Schutz der in der Prostitution Tätigen wollten, denen gegenüber, die von den Wünschen aus der Prostitutionslobby gelenkt, für so wenig Regelungen wie möglich stritten. Genau deshalb konnte das Gesetz am Ende nur ein lauwarmer Kompromiss werden.

Zuwenig

Nein, das ProstSchG genügt nicht! Aber anzunehmen es gehe völlig an der Lebensrealität der Frauen vorbei und nehme auf die konkreten Arbeitsbedingungen der Frauen keine Rücksicht, stimmt eben auch nicht. Und es würde keinesfalls besser werden, wenn weniger Regelungen darin enthalten wären.

Die Behauptung einiger ProtagonistInnen aus den Interessenverbände der Prostitutionsindustrie, es handle sich bei dem ProstSchG um ein „Bundesgesetz, das die Not, Angst, soziale Abhängigkeit und Ausbeutung der Frauen von Bordellbesitzern, aber auch gegenüber potenzieller Polizeigewalt noch massiv verstärkt“, (ja so was hört man tatsächlich) verkehrt die Realität in ihr Gegenteil.

Das Geschäft mit der Ware Frau ist von Gewalt und Ausbeutung durchzogen. Regelungen, Razzien und Kontrollen in diesem Geschäftszweig stellen schon deshalb keine „potentielle Polizeigewalt“ dar, verstärken schon gar nicht die Ausbeutung der prostituierten Frauen, sondern sind oft ein viel zu selten und zu inkonsequent eingesetztes Instrument staatlicher Kontrolle zum Schutz der in der Prostitution vermarkteter Frauen. Dass gerade das Betreibern und Betreiberinnen nicht gefällt, sie viel lieber weiterhin ungestört im Dunkelfeld agieren möchten, weil genau dort eben der größte Profit zu machen ist, bleibt nachvollziehbar.

Und jetzt?

Ja, Prostitution hat viel mit Armut zu tun. Ohne Zwangs- und Armutsprostituierte könnte dieser Industriezweig nicht existieren. Aber was heißt das jetzt? Weil in Deutschland nicht ausreichend Freiwillige aufzutreiben sind, öffnen wir den Markt für diejenigen, die bittere Armut dazu drängt und die sich nicht wehren können? Und gestalten die Regeln dafür dann so, dass genau die Ärmsten und Schwächsten auch sicher den Weg in die Prostitutionsindustrie finden? Damit alles schön weiterlaufen kann und der gemeine Sexkäufer genügend Auswahl hat und nicht zu tief für sein vermeintliches „Männerrecht“ in die Tasche greifen muss? Nein!

Bei aller Kritik an diesem Gesetz: es ist damit doch im Ansatz gelungen, Regeln aufzustellen, die die Ausbeutung der Frauen schwerer machen. Und wenn es konsequent als Schutzgesetz umgesetzt wird, dann werden einige Frauen zukünftig eben nicht mehr in der deutschen Prostitutionsindustrie „arbeiten“ können. Wenn es gut läuft sind es zuallererst diejenigen, die unselbständig, hilflos und nur aufgrund bitterer Not, Armut oder/und dem Drängen der Profiteure in der Prostitution landen.

Man könnte die Vision haben, dass sie die ersten sind, die nicht mehr vermarktet werden können. Und irgendwann, wenn auch die Politik endlich begreift, dass Prostitution eine Menschenrechtsverletzung ist, weil ihr Kern die Ausbeutung von Menschen ist. Und weil sie als Menschenrechtsverletzung im Widerspruch zu der Charta der Grundrechte der Europäischen Union steht. Dann, wenn es soweit ist, dann werden wir endlich die Perspektive wechseln und auf die Sexkäufer schauen, die diesen Markt erst ermöglichen. Und dann wird auch bei uns die Politik Regelungen verabschieden, die ALLE Frauen wirksam schützen.

ln Schweden, Norwegen, Island, Nordirland und der Republik Irland, in Frankreich und Kanada wurden solche Regelungen bereits eingeführt. Der Sexkauf ist dort verboten.