Am 11. März 2018 wurde Sabine Constabel und dem Verein SISTERS – für den Ausstieg aus der Prostitution! e.V. der Barbara-Künkelin-Preis der Stadt Schorndorf von Hr. Oberbürgermeister Matthias Klopfer verliehen. Wir veröffentlichen hier die Laudation von Prof. Dr. Monika Barz und die Dankesrede von Sabine Constabel.
Prof. Dr. Monika Barz, Schorndorf, den 11. März 2018
Laudation für Sabine Constabel
Liebe Sabine Constabel, liebe Familie von Sabine, liebe SISTERS, lieber Stiftungsrat, liebe Schorndorfer Weiber, liebe Mitglieder des Preisgerichtes, liebe Gäste!
Es ist mir eine große Ehre heute die Laudatio für eine so würdige Preisträgerin halten zu dürfen. Auf Dich liebe Sabine, trifft punktgenau zu, was die Stadt Schorndorf von einer Barbara-Künkelin-Preisträgerin erwartet: Die Stadt wünscht sich eine, die den „Mut (hat), ‚nein‘ zu sagen, Missstände anzuprangern, auf unbequeme Wahrheiten hinzuweisen und Tabus zu brechen.“
Ich habe Dich, liebe Sabine, in den letzten drei Jahren durch die gemeinsame politische Arbeit näher kennenlernen dürfen. Ich bin begeistert, einer so mutigen Frau begegnet zu sein. Was ist so besonders an Dir?
Sabine Constabel ist seit über 20 Jahren in der Arbeit mit Prostituierten im Stuttgarter Leonhardsviertel. Das allein ist nichts Besonderes. Das ist ihr Beruf und den erfüllt sie fachlich fundiert, wie tausende von Sozialarbeiterinnen in Baden-Württemberg.
Das Besondere an Sabine Constabel ist, sie ist jene Fachfrau in Deutschland, die schon vor 20 Jahren, mutig öffentlich ‚Nein’ sagte, als die Mehrheit in Politik und Gesellschaft voller Begeisterung für eine Liberalisierung der Prostitution das Wort geredet haben. Als ‚kleine’ Sozialarbeiterin aus dem Leonhardsviertel wagte sie ihre Stimme zu erheben und sich in Vorträgen und Talkshows dem politischen Trend entgegen zu stellen. Sie wies auf den Missstand hin, dass von der Liberalisierung einzig die Sexindustrie profitieren werde.
Heute wissen wir, dass Bordelle lukrative Unternehmen geworden sind. Ihre Betreiber werden nicht mehr als Zuhälter angesehen, sie sind inmitten der Gesellschaft als Wellness-Manager angekommen und bei Talkshows angesehene Gäste. Das gesellschaftliche Ansehen von Prostituierten rangiert heute weiterhin ganz unten in der Werteskala, ihre finanzielle Situation ist prekärer und ihre Gesundheit gefährdeter als je zu vor. Selbst Bordellbetreiber bekunden öffentlich, dass sie diese Arbeit Ihren Töchtern nicht wünschen. Heute wissen wir, dass der liberalisierte Sexmarkt Deutschlands der internationalen organisierten Kriminalität Tür und Tor geöffnet hat und als sicheres Versteck für kriminellen Menschenhandel dient.
Du liebe Sabine prangerst konsequent an, dass bei der gut gemeinten Liberalisierung die Prostituierten allein gelassen werden in ihrem individuellen Überlebenskampf und Ausstiegshilfen fehlen. Du entwickelst im Kleinen konkrete Unterstützungsprojekte und schafftest die fachliche Vernetzungen, die Stuttgart zum Vorzeigemodell für ganz Deutschland werden ließ.
Sabine Constabel war lange Zeit eine einsame Mahnerin. Sie verwies beharrlich auf andere gesellschaftliche Lösungen, wie sie in Schweden praktiziert werden. Dort sind die Freier, die Konsumenten von Bezahlsex ins gesellschaftliche Blickfeld gerückt worden. Dort wird der Kauf einer sexuellen Dienstleistung geahndet. Die Schweden nennen es ‚Freierbestrafung’ und ‚Sexkaufverbot’. Zwei Begriffe, die in Deutschland hart wirken und politisch nicht leicht zu vermitteln sind. Sabine Constabel bricht die Tabus und spricht sie mutig an. Sie überzeugt durch ihre Milieukenntnis und sachlichen Schilderungen aus dem realen Leben in Bordellen und Laufhäusern.
Heute steht Sabine Constabel nicht mehr allein. Seit wenigen Jahren weist auch das Europäische Parlament und die Europäische Kommission Deutschland darauf hin, die Nachfrage und die Freier ins Blickfeld politischen Handelns zu rücken und sich am Sexkaufverbot des Nordischen Modell zu orientieren. Wir in Baden-Württemberg können stolz sein, eine so mutige Frau unter uns zu haben.
Sabine Constabel hat viel bewirkt und Bewegung in diese Thematik gebracht. Sie ist Vorsitzende des Vereins SISTERS – für den Ausstieg aus der Prostitution! e.V.. Sie ist Mitinitiatorin der Kampagne ROTLICHTAUS, die SISTERS gemeinsam mit dem Landesfrauenrat Baden-Württemberg durchführt. Sie war als Sachverständige bei der Anhörung im Bundestag geladen und ist bundesweit Beraterin kirchlicher und politischer Gremien …. und sie ist vor allem und tagtäglich eine sozialpädagogische Stütze für Prostituierte im Großraum Stuttgart, die Rat und Hilfe suchen.
Bundesweit genießt Sabine Constabel in Fachkreisen hohes Ansehen. Im Januar habe ich in Berlin an einer bundesweite Arbeitsgruppe zu ‚Frauenrechte und Prostitution‘ teilgenommen. In einer Pause lies ich zwei leere Zettel durch die Reihen gehen mit den Satzanfängen: „Sabine Constabel ist für mich wie…“ und „Wenn ich an Sabine Constabel denke, fällt mir ein…“.
Sabine ist nicht Mitglied dieser Arbeitsgruppe, aber alle kennen sie. Einige der schriftlichen Antworten möchte ich mit Ihnen heute teilen:
Sabine ist für mich, wie….
„Ein Fels in schmutziger Brandung“,
„das Gewissen unserer Gesellschaft“,
„ein großes Vorbild, das mir den Mut gibt weiter zu machen“,
„eine Konstante in der Gleichung mit vielen Unbekannten namens Frauenhandel“,
„wie ein Licht, das für eine Zivilgesellschaft steht.“
Wenn ich an Sabine denke, fällt mir ein….
„Wie unbeirrt sie seit Jahren ihren Weg geht.“
„Dass sie unerschrocken und unbestechlich ihren großen Kampf gegen das perfide System Prostitution kämpft – und damit vielen anderen Mut macht.“
Eine erinnert sich an eine Aussage von Sabine, die ihr stets im Gedächnis geblieben ist: „Wir müssen nicht aushalten, was die Frauen, die in der Prostitution leben, erleben müssen. Wir sollten wenigstens aushalten hinzuschauen.
„Woher nimmt diese Frau die Kraft für ihre Arbeit? Wie erträgt sie dieses ganze Elend das sie sieht und die Blindheit der ‚Durchschnittsbürger‘ dafür“?
Soweit die spontanen Assoziationen von Expertinnen aus dem ganzen Bundesgebiet.
Bevor Sie nun gleich die Gelegenheit haben, Sabine Constabel in der Talkrunde selbst zu erleben, möchte ich Ihnen noch ein paar schlichte Daten und Fakten über sie mitteilen, die neben ihrem mutigen Engagement für Frauen in der Prostitution auch zu ihr gehören.
Sabine Constabel kam 1959 in Esslingen gemeinsam mit ihrem Zwillingsbruder zur Welt. Sie ist heute Mutter zweier Kinder und Großmutter zweier Enkelkinder. Über den zweiten Bildungsweg erlangte sie die Fachhochschule Reife und schloss 1991 erfolgreich das Studium der Sozialen Arbeit an der Fachhochschule Esslingen ab. Während des Studiums gründete sie in Esslingen ‚Wildwasser‘. Nach dem Studium übernahm sie für kurze Zeit einen nebenamtlichen Lehrauftrag an der Fachhochschule Esslingen. Als ich sie neulich mal danach fragte, warum sie damit aufgehört hatte, bekam ich eine Antwort von ihr, die mich als langjährige Aktivistin und Hochschullehrerin nachdenklich gemacht hat. Sabine Constabel antworte mir: „Was ich kann, ist, Missstand zu sehen, darüber zu reden und andere animieren tätig zu werden. Ich bin keine Theaterdarstellerin, das was ich sage, soll nicht konsumiert werden. Ich bin auf Widerhall angewiesen. Ich wollte die Studierenden in die Aktion bringen, sie wollten Benotung.“
Ihre kurze Antwort ist eine prägnante Beschreibung Ihrer Persönlichkeit. Über eine Krankheitsvertretung hat Sabine Constabel nach dem Studium 1991 erstmalig die Arbeit mit Prostituierten kennengelernt. Sie war, so ihre Worte: „fasziniert von der Stärke der Frauen, trotz tiefster Verletzungen in der Biographie“. In den politischen Debatten, um die von der Rot/Grünen Bundesregierung geplanten ‚Liberalisierung‘ hatte sie schon früh ihre kritische Stimme erhoben. 1991 ist ihr erster Artikel erschienen. In den Folgejahren war sie immer wieder in Radio, Presse und Fernsehen zu hören. Wenn Sie auf youtube ihren Namen eingegeben, finden Sie dort interessante historischen Zeitdokumente über ihr mediales Wirken.
Der Name Sabine Constabel ist eng mit dem Café ‚La Strada‘ verbunden, der niedrigschwelligen Anlaufstelle im Leonhardtsviertel in Stuttgart. Die Geburtsstunde dieses Cafés hat viel mit ihr und ihrer geliebten Mitstreiterin, der katholischen Schwester Margret zu tun. Sabine Constabel wusste immer, dass sie auf Hilfe von außen angewiesen sei. Ihr Ziel war, politisch Verantwortliche aufzuklären. Sie lud in den letzten 20 Jahren jede Gemeinderätin ins la Strada ein. „Sie sollten selbst in die Augen schauen und erschüttert werden.“, so ihre Motivation. „Diejenigen, die la Strada geholfen haben, waren diejenigen, die sich haben berühren lassen. Immer dann geht es weiter“, so ihre Überzeugung.
Liebe Sabine, du bist keine Mitläuferin, du läufst nicht irgendwelchen Propheten hinterher. Deine eigene innere Richtschnur ist für Dich handlungsweisend. Deinen Mund halten, um keinen Ärger zu kriegen, das kannst Du nicht. Du gehst das Risiko ein, Deine Meinung zu sagen auch wenn Du aneckst. Entscheidend für Dich ist mit Dir selbst innen drin im Reinen zu sein. Du sagtest mir mal: „Ich fühle mich geborgen in der Welt, wenn ich keine inneren Konflikte habe.“ Es sind diese klaren authentischen Sätze, die Deine politischen Wirkkräfte ausmachen.
Ja, wir können uns in der Welt geborgen fühlen, wenn wir zu dem stehen, was wir innen fühlen. Egal, auch wenn wir damit anecken. Vielleicht ist dies DIE zentrale Antwort auf die Frage, woher Du die Kraft all die Jahre genommen hast, gegen den Strom zu schwimmen. Du warst schlicht mit DIR im Reinen.
Sabine Constabel ist nachweislich keine Mitläuferin. Sie versteht es aber wie kaum eine andere, Menschen dazu zu bewegen, selbst ins Laufen zu kommen. Die Gründung des Vereins ‚SISTERS e.V.‘ der vielen Frauen mit Ausstiegswunsch auf der individuellen Ebene zur Seite steht geht auf Deine Initiative zurück. Darüber werden wir in der Talkrunde mehr erfahren.
Auf der Homepage der Stadt Schorndorf ist zu lesen: „Unsere Gesellschaft braucht couragierte Frauen – setzen wir mit dieser Auszeichnung weiterhin Zeichen!“ Die Stadt Schorndorf hält Wort und richtet heute den Festakt für die Preisverleihung an Sabine Constabel und SISTERS e.V. aus.
Mit Dir liebe Sabine und SISTERS freuen sich bundesweit all jene Männer und Frauen, die ein Umdenken in der Prostitutionspolitik für dringend geboten halten.
Wir sind stolz auf dich!
Herzlichen Glückwunsch!
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Sabine Constabel, Schorndorf, den 11. März 2018
Dankesrede
Ich möchte gerne Danke sagen
· dem Preisgericht, das den Verein Sisters und mich ausgewählt hat,
· der Familie Rommel und der Familie Abele, ohne die es diesen tollen Preis nicht gäbe,
· Ihnen, Herrn Oberbürgermeister Klopfer,
· Ihnen, Herr Diedrich und dem Heimatverein der schönen Stadt Schorndorf
· und natürlich den Schorndorfer Weibern
Danke liebe Monika Barz für deine wertschätzende Laudatio.
Es ist nicht so einfach, so viel Gutes über sich zu hören. Das ist ganz schön berührend und deshalb möchte ich gerne das Lob auch an andere Menschen weiterreichen.
Dieser Preis ist eine große Ehre und eine große Freude.
Der Preis gebührt auch denen, die Sisters ausmachen. Das sind viele Frauen und einige Männer, die ihre Zeit, ihre Kraft und ihren Mut einsetzen, um den Frauen in der Prostitution zu helfen.
Dieser Preis ist auch mit Geld verbunden. Dafür sagen wir Danke! Wir werden es genau dort einsetzen, wo es am meisten gebraucht wird. Wir ermöglichen damit Frauen den Ausstieg aus der Prostitution und helfen ihnen dabei ein neues Leben in Freiheit zu beginnen.
Und weil wir wissen, dass jeder Platz in der Prostitutionsindustrie, der durch unsere Arbeit frei wird, sofort wieder mit einer neuen Frau besetzt wird, engagieren wir uns vielfältig, kreativ und bunt für eine Gesellschaft, in der Prostitution, als eine besonders miese Form moderner Sklaverei ist, keinen Platz mehr finden kann.
Die RotlichtAus Kampagne, die wir gemeinsam mit dem LFR BaWü, gestartet haben, trägt zu dem dafür notwendigen gesellschaftlichen Wandel bei. Sie informiert, regt zu Diskussionen an und bildet damit einen unverzichtbaren Gegenpol zu den verlogenen Plakaten der Prostitutionsindustrie.
Danke Sr. Margret, du hast den Stein dafür ins Rollen gebracht. Und Danke, Michael Horlacher, deine Agentur hat die Motive entworfen und unterstützt beharrlich die Umsetzung der Kampagne in verschiedenen Städten.
Dieser Preis ist für uns auch ein Symbol, dass es sich lohnt aufzustehen und sich zu engagieren.
Wir müssen das, denn in Deutschland leben hunderttausende Frauen in der Prostitution. Und die Realität darin, hat nichts aber auch gar nichts mit dem zu tun, was die Prostitutionsindustrie uns vorzugaukeln versucht. Denn sie banalisieren und leugnen die Gewalt, die den Kern der Prostitution ausmacht.
Der Verkauf von „Körper, Freiheit, Würde“, dieses Banner der RotlichtAus Kampagne hängt am Schorndorfer Rathaus, wird als „sexuelle Dienstleistung“ banalisiert. Damit Sexkäufer konsumieren, anstatt über ihr Handeln und ihre Verantwortung an diesem grausamen Markt nachzudenken.
Ja, wir müssen und werden weiterhin darüber sprechen, was wir in der Prostitution sehen und im Kontakt mit den Prostituierten erleben. Das nehmen wir als Pflicht und als ständige Herausforderung.
Wir müssen informieren, weil nur Wissen Menschen dazu bewegen kann sich zu engagieren, aufzustehen, sich in den Wind zu stellen, um für eine bessere Welt für uns alle zu kämpfen.
Der Kern der Prostitution ist Gewalt. Sie ist roh, unbarmherzig und durch und durch zerstörerisch. Und wenn ich das sage, taucht vor meinem inneren Auge gleich Ankuza auf, die kaum lesen und schreiben konnte, und von ihrer eigenen Mutter nach Deutschland in die Prostitution gehandelt wurde. Ich erinnere mich gut, wie sie vor mir saß und mit Tränen in den Augen sagte:
„ich will doch kein Schlampenmädchen mehr sein.“
Und ich denke an Blanca, die von Zuhältern nur deshalb aus einem ungarischen Kinderheim geholt wurde, um sie später in die Prostitution zu zwingen.
Über die Jahre und Jahrzehnte haben sich in mir solche Bilder und Geschichten angehäuft. Eine davon ist die Erinnerung an eine Frau, die in einer Wolke von Traurigkeit vor mir saß und sagte „ich bin hier gestorben“.
Und dann sehe ich Sandra, die hier auf dem Podium sitzt, die sich selbst befreien konnte und jetzt in die Öffentlichkeit geht, um über die perfide Loverboy-Methode aufzuklären und andere Mädchen davor zu bewahren, von den Schulhöfen weg in die Prostitution manipuliert zu werden.
Und Sisters ist auch Sonja, die auf dem Straßenstrich landete, weil sie von ihrem eigenen Vater schwanger war und sich dort das Geld für den Schwangerschaftsabbruch verdienen musste. Und zu der, irgendwann, als sie schließlich drogenabhängig und ganz unten war, ein Freier sagte „Elend fickt sich gut“. Jetzt geht sie in Schulen, leistet dort Präventionsarbeit und verhindert damit, dass andere junge Mädchen ihr Schicksal teilen müssen.
All das ist SISTERS. Wir nehmen den Preis als Verpflichtung weiterzumachen und uns für Prostituierte und für eine Welt ohne Prostitution zu engagieren.
Herzlichen Dank für diese Auszeichnung!