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Prostitution und freier Wille – von Dana Levy, einer israelischen Überlebenden

Dana Levy ist eine israelische Überlebende der Sexindustrie, die sich für das nordische Modell in Israel einsetzt. Sie veröffentlicht Artikel in lokalen Medien, um Aufklärungsarbeit zu leisten. Sie schickte uns [Redaktion von „Nordic Model Now!“; Anm. d. Übers.] freundlicherweise die englische Übersetzung eines ihrer Artikel mit einer Dankesnachricht für das, was sie als unsere „großartige Arbeit“ bezeichnet. Auch wir danken Dana für ihre ebenso großartige Arbeit.

Gibt es in der Prostitution eine freie Wahl? Ich weiß es nicht, und es spielt auch keine Rolle.

Ich kann nicht zählen, wie oft ich bei Debatten über Prostitution und die Sexindustrie gehört habe, es gebe „Frauen, die sich dafür entscheiden“, quasi als Beweis dafür, dass diese Industrie existieren muss. Ich habe dieses Argument nie ganz verstanden. Braucht man etwa für die Rechtfertigung einer Praxis, so entsetzlich sie auch sei, lediglich eine Person zu finden, die sich aus irgendwelchen Gründen dafür entschieden hat? Können Ausbeutung, Missbrauch oder Folter gerechtfertigt sein, wenn sich nur irgendjemand dazu bereit erklärt?

Ich denke, dass all dieses Gerede über die freie Wahl sich eher für den Philosophieunterricht eignet als für Diskussionen über Prostitution. Es ist nicht so, dass sich niemand freiwillig für die Prostitution entscheiden würde – die Frage der freien Wahl ist aus mehreren Gründen einfach irrelevant:

Um eine freie Wahl zu haben, muss die Frau zunächst die zukünftigen Konsequenzen ihrer Wahl kennen und wissen, welche Konsequenzen mutmaßlich in ihrem Fall eintreffen werden. Es gibt Drogensüchtige, die in die Prostitution gegangen sind, um ihre Sucht zu finanzieren; es gibt Mädchen, die von erwachsenen Zuhältern auf die schiefe Bahn gebracht wurden; und es gibt Frauen, die trickreich zur Prostitution verleitet wurden. Keine von ihnen hatte die vollständige Kontrolle über die Entscheidung, in die Prostitution einzusteigen, daher trifft das Argument der „freien Wahl“ nicht auf sie zu.

Und was ist mit den jungen Frauen ab 18 Jahren, die weder suchtkrank sind noch aus extremen Armutsverhältnissen kommen, sondern die sich gesagt haben: „Ich mache nur schnell das große Geld und kehre dann in mein normales Leben zurück.“? Was ist mit den alleinerziehenden Müttern, deren Bankkonto gesperrt wurde, und die sagen: „Ich zahle nur meine Schulden ab, und danach lebe ich wieder ganz normal.“? Scheinbar, so könnte man behaupten, habe hier eine freie Wahl vorgelegen. Denn selbst wenn die Alternativen begrenzt waren, so war es doch eine Wahl. Leider endet diese Entscheidungsfreiheit in den meisten Fällen, sobald man den Prostitutionszyklus verlassen möchte. Frauen in der Prostitution, Überlebende der Prostitution, freiwillige HelferInnen, PsychologInnen und SozialarbeiterInnen – sie alle wissen, dass die meisten Frauen diesen Kreislauf verlassen möchten, dies aber nicht können. Psychologische, soziale, finanzielle und systembedingte Mechanismen blockieren ihren Weg zur Rehabilitierung. Selbst wenn die Prostitution eine Wahl ist, so führt diese Wahl meist nur in eine Richtung.

Diese „Einweg“-Wahl könnte zwar frei sein, wäre sie bewusst getroffen worden – aber eine Frau, die in die Prostitution einsteigt, erkennt nicht, dass der Weg zurück versperrt ist. Die Sexindustrie ist von zahlreichen Mythen und Falschinformationen umgeben. In der Literatur und im Kino wird die Sexindustrie manchmal als eine Welt von düster-geheimnisvollem, dekadentem Glamour präsentiert; ein bisschen gefährlich, aber faszinierend und voller Abenteuer. Im öffentlichen Diskurs nehmen Mythen wie „es ist leichtes Geld“ und „ein hübsches Mädchen kann viel Geld verdienen für das, was alle sonst kostenlos machen“ eine zentrale Rolle ein. Solche Mythen verhindern den Zugang zu Informationen, die für eine echte Wahl unabdingbar sind.

Die Wahlfreiheit ist nicht alles. Wahlfreiheit ist kein Synonym für etwas Gutes, und begrenzte Freiheit ist kein Synonym für etwas Schlechtes. Die Königin von England hat sich nicht dafür entschieden, Königin zu werden. Umgekehrt gibt es Menschen, deren Lebensqualität aufgrund gewisser Entscheidungen schrecklich ist. Wir müssen uns fragen, wer von beiden unseren Schutz benötigt.

Die Sexindustrie fordert von uns allen ihren Tribut. Frauen in der Prostitution sind die direkten und unmittelbaren Opfer der Sexindustrie. Es gibt jedoch noch andere Faktoren individueller, systemischer und institutioneller Art, die davon betroffen sind. Ich bin Mutter von Töchtern, und ich möchte die Freiheit, meine Töchter in einer von Prostitution freien Gesellschaft aufzuziehen. In einer solchen Gesellschaft wird keine Finanzkrise, keine Familienkrise oder sonstige unglückliche Fügung meine Töchter in den Abgrund der Sexindustrie stürzen. Auf die Frage “Was ist denn mit meiner Entscheidungsfreiheit?” kann ich nur erwidern: Was ist denn mit der Freiheit von Frauen, sich gegen eine Welt zu entscheiden, wo unerwünschten Sex zu “bekommen” die Norm ist? Wenn nicht gewaltsam, dann durch Erpressung; wenn nicht durch Erpressung, dann durch Drogen; und wenn nicht durch Drogen, dann mit Geld.

Wie steht es um die Wahlfreiheit all jener Mitbürger, die gezwungen sind, die Sozialleistungssysteme, die Unterstützung und die (gelegentlich hoffnungslosen) Rehabilitierungsmaßnahmen für jene Frauen zu finanzieren, deren Schicksal von vornherein hätte vermieden werden können? Wir alle, mit Ausnahme von hartgesottenen Libertären [eher „Liberalen“ – Anm. d. Übers.], stimmen darin überein, dass es unsere Pflicht als Gesellschaft ist, diese Frauen zu unterstützen. Jedoch wäre es besser für sie gewesen, wenn ihnen die Situation, staatliche Unterstützung zu benötigen, erspart geblieben wäre. Mit dieser Meinung bin ich übrigens nicht allein. Nicht wenige Frauen in der Prostitution sagen: „Ich wünschte, ich könnte zum Ausgangspunkt zurückkehren, damit ich nicht hierher kommen müsste.“ Das Leiden dieser Frauen ist von öffentlichem Interesse; wir alle sollten entscheiden, ob es wert ist, diese Frauen zu opfern, nur aus Nachsicht gegenüber fanatischen Befürwortern der Sexindustrie.

Originalquelle: https://danalevyblog.com/2018/10/26/choice/