Die Gleichstellungsbeauftragten der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart veranstalten am 5. Juli 2017, 15 bis 21.15 Uhr ein Symposium und eine Kunstauktion für den Ausstieg aus der Prostitution im Vortragssaal der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, Am Weißenhof 1, 70191 Stuttgart.
Das neue Prostitutionsschutzgesetz tritt im Juli 2017 in Kraft. Dieses nehmen wir zum Anlass, um am Standort Deutschland, der als grösstes europäisches Bordell, als Drehscheibe des Frauenhandels und als europäisches Land für Sextouristen gilt, einen öffentlichen Diskurs anzuregen: Im Mittelpunkt des Symposiums steht die Sichtbarmachung der Hintergründe sexueller Gewalt und Ausbeutung und die Frage, wie wir, als eine den Menschenrechten verpflichtete Gesellschaft, mit der Prostitution, in der täglich Ausbeutung, Missbrauch und Gewalt stattfindet, umgehen können und wollen.
Das Symposium schließt an die Initiative „Galateas“ an Kulturschaffende, die sich für den Ausstieg aus der Prostitution engagieren – und wird veranstaltet von den
Gleichstellungsbeauftragten der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart (Karin Schulte und Nadine Bracht) sowie Justyna Koeke, ebenfalls Mitarbeiterin der Akademie und Initiatorin von „Galateas“.
PROGRAMM
15.00 Uhr Grußwort
Prof. Dipl. Ing. Tobias Wallisser M. SC., Prorektor der ABK Grußwort
Einführung
Nadine Bracht, stellv. Gleichstellungsbeauftragte der ABK
15.30 Uhr Die Grenzen der Phantasie
Dr. Katrin Burtschell, Kunsthistorikerin, Dozentin im Studienbereich Kunstwissenschaft und Akademieleitung der Freien Kunstschule Nürtingen
16.15 Uhr Prostituierte und Freier
Bettina Flitner, Künstlerin und Fotografin, Köln
17.00 Uhr Pause
17.30 Uhr Prostitution in Deutschland – Überblick, Entwicklungen, Problemfelder
Helmut Sporer, Hauptkommissar, Kriminalpolizei Augsburg
18.15 Uhr Trauma als Voraussetzung für und als Folge der Prostituierung
Dr. Dipl.-Psych. Ingeborg Kraus, Psychologische Psychotherapeutin und Fachtherapeutin in Psychotraumatologie, Karlsruhe
19.00 Uhr Podiumsdiskussion
Moderation: Verena Neuhausen, SWR mit den Vortragenden und den Gästen
Sabine Constabel, erste Vorsitzende von „Sisters – für den Ausstieg aus der Prostitution! e.V.“
Sandra Norak, Aussteigerin aus der Prostitution
Dr. Dorothee Schlegel, MdB als Bundestagsabgeordnete der SPD des
Wahlkreises Odenwald-Tauber
19.45 Uhr Justyna Koeke, Akademische Mitarbeiterin der ABK Stuttgart, Initiatorin von „Galateas“
Zusammenfassung und Übergang
Pause
20.15 Uhr Burlesque-Performance
Funny Di Favola, Performance-Künstlerin und Choreografin
20.30 Uhr Kunstauktion
Moderation: Prof. Dr. Nils Büttner, Prorektor der ABK Stuttgart
Ende gegen 21.15
Als VORTRAGENDE haben wir folgende Expertinnen einladen können:
Dr. Katrin Burtschell: „Die Grenzen der Phantasie“
Kunsthistorikerin, Dozentin im Studienbereich Kunstwissenschaft und Akademieleitung der Freien Kunstschule Nürtingen
Dr. Katrin Burtschell promovierte zum Thema „Absicht und Wirkung des Obszönen in Kunst und Literatur“. Der Vortrag „Die Grenzen der Phantasie“ richtet den Fokus auf den Umgang mit dem weiblichen Körper in der Kunstgeschichte. Sexuelle Freiheit und sexuelle Phantasien sind fester Bestandteil in Kunst und Literatur. Welche Grenzen und Abgründe tun sich dabei auf und welche Rolle spielt der weibliche Körper? Die erotische Kunst wurde lange als eine Männerdomäne betrachtet, in der der weibliche Körper angebetet und verteufelt, benutzt und als Objekt degradiert wird. Doch auch Künstlerinnen inszenieren und thematisieren heute ganz selbstverständlich ihre eigene Sexualität. 2001 sorgte die renommierte Expertin für zeitgenössische Kunst, Catherine Millet mit ihrem autobiographischen Buch „Das sexuelle Leben der Catherine M.“ für einen Skandal, darin schreibt sie mit bedingungsloser Offenheit und sachlicher Selbstbeobachtung über ihre Sexualität. Ohne dabei das sexuelle Objekt männlicher Dominanz zu sein, macht sie sich freiwillig zum Objekt verschiedenster sexueller Spielarten und Phantasien. Diese Möglichkeit, diese Freiwilligkeit, diese Freude an der sexuellen Phantasie ist es aber, die den Opfern von sexueller Gewalt, die der Prostituierten verwehrt ist. Die in Kunst und Literatur vorherrschende Freiheit stößt in der Alltagsrealität an ihre Grenzen.
Bettina Flitner „Prostituierte und Freier“
Künstlerin und Fotografin, Köln
Bettina Flitner ist Fotografin und Filmemacherin, ihre Filmerfahrungen haben ihre Fotoarbeiten geprägt. Ihre Fotoessays haben meist einen seriellen Charakter und Flitner arbeitet häufig mit der Kombination von Bild und Text. Ihre Arbeiten lösen oft leidenschaftliche Debatten bei Menschen und Medien aus. Bettina Flitner stellt uns ihre Arbeiten „Prostituierte“ und „Freier“ vor.
Für die Arbeit „Freier“ fotografierte Bettina Flitner 10 Tage lang in dem Stuttgarter Großbordell „Paradise“. Sie fragte die Freier: „Warum sind Sie hier?“ Die Männer, zwischen 23 und 73, antworteten – und ließen sich auf den Betten fotografieren. Die Arbeit wurde im „Stern“ 2013 veröffentlicht. Für die Arbeit „Prostituierte“ fuhr sie zusammen mit den Streetworkern von „Karo e.V.“ viele hundert Kilometer entlang des längsten Straßenstrich Europas, zwischen Deutschland und Tschechien. Sie fotografierte die Frauen da, wo sie arbeiten: auf der Straße, im Gebüsch, im Wald und fragte sie nach ihren Träumen. Die Arbeit erschien 2014 in „Emma“.
Helmut Sporer: „Prostitution in Deutschland – Überblick, Entwicklungen, Problemfelder“
Hauptkommissar, Kriminalpolizei Augsburg
Helmut Sporer arbeitet bei der Kriminalpolizei in Augsburg. Zu seinen Aufgaben gehören unter anderem Überwachung der Prostitution und die Bekämpfung von Zuhälterei und Menschenhandel. Seit über 20 Jahren beschäftigt sich Helmut Sporer mit der Materie und wird über die Lage der Prostituierten in Deutschland aus der täglichen Arbeitserfahrung berichten. Helmut Sporer ist bundesweit bekannt für sein Bemühen um eine praktikable Regulierung der Prostitution und einen besseren Schutz der Frauen vor ihren Ausbeutern.
Dr. Ingeborg Kraus: „Trauma als Voraussetzung für und als Folge der Prostituierung“
Psychologische Psychotherapeutin und Fachtherapeutin in Psychotraumatologie, Karlsruhe
Dr. Ingeborg Kraus arbeitet seit 2012 selbstständig in eigener Praxis in Karlsruhe. Sie betreibt die Seite www.trauma-and-prostitution.eu und fordert mit führenden deutschen Traumatherapeutinnen und -therapeuten die gesetzliche Einführung eines Sexkaufverbots. Sie hat zahlreiche Artikel dazu veröffentlicht und hält Vorträge über Psychotraumatologie auf internationaler Ebene. Kraus arbeitete sieben Jahre in Auslandseinsätzen in Bosnien und im Kosovo und sammelte Erfahrungen sowohl in psychosozialen Projekten als auch im Wiederaufbau, medizinischen Projekten, Versorgung von Flüchtlingslagern, Aufbau von zivilen Strukturen, Frauenförderung und Demokratisierung. Zurück in Deutschland hat sie langjährige Erfahrungen im klinischen Bereich der Rehabilitation von Patientinnen und Patienten mit dem Schwerpunkt Sucht und Psychosomatik erworben.
Aus der Perspektive der Psychotraumatologie kann Prostitution nicht wie ein Job wie jeder andere betrachtet werden. Studien haben einen Zusammenhang zwischen dem Eintritt in die Prostitution und Gewalterfahrungen in der Kindheit festgestellt. Das System Prostitution benutzt diese Traumatisierungen der Frauen für ihre eigenen Interessen und Profite. Unter keinen Umständen kann Prostitution als Arbeit oder als eine Dienstleistung definiert werden.
Prostitution ist kein Job wie jeder andere, da sie traumatisierend ist. Zahlreiche Studien haben belegt, dass das Risiko eine posttraumatische Belastungsstörung zu entwickeln in der Prostitution höher liegt als im Krieg.
PODIUMSDISKUSSION
Verena Neuhausen SWR
Magister in Politik (Hauptfach), Gemanistik und Philosophie, Deutsche Journalistenschule, München, Aufträge für die FAZ, Süddeutsche Zeitung, Deutsche Tagespost seit 1995 beim SWR für regionale Berichterstattung tätig, Schwerpunkt Kunst und Kultur (SWR 2) und Stadtentwickung (SWR 1, 2, 4) im laufenden Program von SWR Studio Stuttgart Betreuung der Regionalnachrichten und aktuelle Berichterstattung aus Stuttgart und angrenzenden Landkreisen
Sabine Constabel
Erste Vorsitzende des gemeinnützigen Vereins „Sisters – für den Ausstieg aus der Prostitution! e.V.“ ist Dipl. Sozialarbeiterin und arbeitet seit über 25 Jahren in der Beratung und Betreuung von Prostituierten. Sie kennt das Milieu und hat als Sachverständige im Bundestag beraten. Sie sagt: „Prostitution hat wesentlich mehr mit Sklaverei, als mit einer freiwilligen und selbstständigen Tätigkeit zu tun. Die Profiteure der Prostitution machen sich schamlos die Armut der Frauen, deren Zwangs-und Notlagen zu Nutze und schlagen daraus ihr Kapital.“
Sandra Norak
kam mit 18 Jahren durch einen sogenannten „Loverboy“ zur Prostitution. Sie war sechs Jahre Prostituierte, bevor sie 2014 den Ausstieg schaffte.
Bereits während der Prostitution fing Norak an, ihr Abitur per Fernstudium zu machen und konnte dann nach ihrem Ausstieg die Prüfung erfolgreich abschließen. Ein Vollzeitjob als Pferdepflegerin ermöglichte ihr dann den kompletten Ausstieg. Heute studiert sie Jura.
Dr. Dorothee Schlegel
SPD Bundestagsabgeordnete, Ausbildung zur Evangelische Religionspädagogin und Diakonin an der Evangelischen Fachhochschule in Ludwigsburg, Studium Linguistik und Soziologie an der Universität Stuttgart, Abschluss M.A. (Magistra Artium), Promotion an der Universität Mannheim mit einer sprachwissenschaftlich-empirischen Arbeit zum Thema „Alles hat seine Zeiten“.
Zehn Jahre lang Evangelische Jugendreferentin und Diakonin in Stuttgart-Mitte und in Stuttgart-Möhringen. Während des Studiums Religionslehrerin in Stuttgart und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Stuttgart. Seit September 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages als Bundestagsabgeordnete der SPD des Wahlkreises Odenwald-Tauber.