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EU-Parlament fordert besseren Schutz vor Prostitution und ein Sexkauf-Verbot

Zum Internationalen Tag gegen Prostitution haben wir dieses Jahr Anlass zum Feiern:
In einer historischen Abstimmung hat das Europäische Parlament in Straßburg am 14.9.23 den von Maria Noichl, MdEP SPD initiierten „Bericht über die Regulierung der Prostitution in der EU, ihre grenzüberschreitenden Auswirkungen und ihren Einfluss auf die Gleichstellung der Geschlechter und die Rechte der Frauen“ mit deutlicher Mehrheit angenommen und damit eine Resolution mit der Aufforderung, die Maßnahmen des abolitionistischen bzw. Gleichstellungsmodells europaweit umzusetzen.


In Nachfolge des Honeyball Reports von 2013 bekräftigte das Parlament mit der Annahme des
Berichts seine Haltung für ein Europa ohne Prostitution und sendet ein starkes Signal für den
Schutz von Frauen in Europa, die 90 % der Personen in der Prostitution und 87 % der Opfer
von Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung ausmachen.

Maria Noichl, MEP, Initiatorin des Berichts: „Heute gibt das Parlament den Menschen eine Stimme,
insbesondere den Frauen, die in unserer Gesellschaft traditionell übersehen, ausgegrenzt und
stigmatisiert werden. Wir stehen an der Seite derjenigen, die seit langem vor der Realität der
Prostitution warnen. In diesem Bericht werden die Gründe dargelegt, warum die große Mehrheit der
Menschen in der Prostitution landet, und es wird aufgezeigt, wie es weitergehen kann: Schaffung von
Ausstiegsprogrammen und Alternativen, Beseitigung von Armut und sozialer Ausgrenzung, Abbau
von Stereotypen und Ungleichheiten und Verringerung der Nachfrage durch Bekämpfung der
Käufer.“
Iliana Balabanova, Präsidentin der Europäischen Frauenlobby :“Diese Abstimmung ist ein klares Signal und eine Erleichterung für Überlebende der Prostitution, aber auch für alle Frauen und Mädchen in Europa, da sie Prostitution als eine Form der Gewalt anerkennt, die bekämpft und nicht gefördert werden muss. Wir danken den Abgeordneten des Europäischen Parlaments dafür, dass sie sich auf die Seite der Überlebenden gestellt haben, und fordern die Mitgliedstaaten auf, die in diesem Bericht enthaltenen Empfehlungen rasch umzusetzen“.

Der Bericht wurde von den Abgeordneten mit 234 Ja-Stimmen, 175 Nein-Stimmen und 122 Enthaltungen verabschiedet. Mehrheitlich sprachen sich die Abgeordneten der Christdemokraten/Konservativen Fraktion, der Sozialdemokraten/Sozialisten und Teile der europäischen Linken dafür aus. Mehrheitlich dagegen stimmten vor allem die Grünen/EFA – mit Ausnahme der schwedischen Grünen, die alle für den Bericht votierten –, die Liberalen
und geschlossen dagegen die rechtspopulistische/ultrarechte I&D-Fraktion.
Der Bericht hat keine rechtlich bindende Wirkung, jedoch eine normative.

Hier eine knappe Zusammenfassung der wesentlichen Aussagen:
Prostitution ist Gewalt
In dem Bericht wird ausführlich dargelegt, dass Prostitution als eine Form geschlechtsspezifischer Gewalt einzuordnen ist. Betroffen sind überproportional junge, arme Frauen aus prekären Verhältnissen, diskriminierte Minderheiten in Europa und Flüchtlinge. Prostitution ist sexistisch, rassistisch und klassistisch.
Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung und Prostitution sind eng miteinander verwoben.
Prostitution per se ist eine Verletzung der Rechte und Würde von Menschen (meist Frauen und Mädchen) und sowohl Ursache als auch Folge der wirtschaftlichen und sozialen Ungleich der Geschlechter.
Prostitution ist weder Sex noch Arbeit, sondern ein System der Gewalt, das auf vielfältigen Diskriminierungsmustern beruht. „….es handelt sich bei der Prostitution nicht um eine individuelle Handlung einer Person, die ihren Körper gegen Geld vermietet, sondern um ein System, das auf Profit ausgerichtet, das von Natur aus gewalttätig, diskriminierend und zutiefst unmenschlich ist und das als Geschäft funktioniert und einen Markt schafft, in dem Zuhälter planen und handeln, um ihre Märkte zu sichern und zu vergrößern, und in dem die Käufer von Sex eine Schlüsselrolle dabei spielen, diese Märkte zu vergrößern!“

Wirtschaftliche und rechtliche Asymmetrien in Europa
Rund 70 Prozent der Prostituierten in der EU sind dem Bericht zufolge Migrantinnen aus besonders prekären Verhältnissen. Ohne Perspektive im Herkunftsland werden sie in der Prostitution wiederum marginalisiert und kriminalisiert und haben häufig keinen Zugang zum Gesundheits- und Sozialversicherungssystem und zum Rechtssystem, moniert der Bericht. Sexkäufer dagegen profitieren von der wirtschaftlichen Ungleichheit in Europa.
Weil Prostitution grenzübergreifend funktioniert und einheitliche Regelungen in den 27 Mitgliedstaaten fehlen, scheiterten bislang Maßnahmen zum Schutz von Frauen und Mädchen vor Ausbeutung. Stattdessen führt die Rechtslage zu mehr Opfern von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung und bildet einen fruchtbaren
Boden für Organisierte Kriminalität.

– Die Nachfrage ist die Ursache für Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung. Soll dieser eingedämmt werden, muss vor allem die Nachfrage reduziert werden. Und dies auf eine Weise, die den Frauen in der Prostitution nicht schadet.
Das Parlament unterstreicht, dass der Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung, einschließlich des sexuellen Missbrauchs von Kindern, aufgrund der hohen Nachfrage zunimmt … Dies ist besonders in Ländern mit einem liberalen Regulierungsmodell sichtbar, während Mitgliedstaaten wie Frankreich und andere Länder, die Ansätzen wie dem Nordic/Equality Model folgen, keine großen Märkte mehr für Menschenhandel sind … hebt die positiven Auswirkungen dieses Modells auf die Rechte der Menschen, insbesondere der Frauen, in der Prostitution, die normative Wirkung in der Gesellschaft und die Bekämpfung des Menschenhandels hervor …
Die Sanktionierung von Sex-Kauf und Verbot von Zuhälterei trocknet den Markt aus und schützt Menschen/Frauen vor der Prostitution.
Die Entkriminalisierung von Zuhälterei und Freiertum in Deutschland, Österreich und den Niederlande erhöht die Nachfrage und damit den Menschenhandel. Der Kauf von Frauen/Menschen zur sexuellen Ausbeutung wird zudem gesellschaftlich normalisiert.

– Forderungen des EU Parlaments nach europaweiten Richtlinien zum besseren Schutz von Frauen und Mädchen
Die Probleme, die aus der Prostitution resultieren, sind grundsätzlich grenzüberschreitend. Deshalb fordert der Bericht einen europäischen Ansatz:
– Die Entkriminalisierung von prostituierten Menschen/Frauen
– Bereitstellung von Ausstiegshilfen und alternativer Erwerbsmöglichkeiten für prostituierte Menschen/Frauen und gleichen Zugang zu Recht, Gesundheitsversorgung und Wohnraum. Entwicklung von Programmen gegen
Frauenarmut.
– Kriminalisierung der Profiteure: Zuhälter und sog. „Sexkäufer“
– Sowie weitere präventive Maßnahmen: Entwicklung und Umsetzung von Informations- und Sensibilisierungskampagnen; Schulungen von Polizei und Behörden; Zusammenarbeit mit Polizei, NGOs, Überlebendenverbänden u.a.

SISTERS – für den Ausstieg aus der Prostitution! e.V. dankt den Abgeordneten des Europäischen Parlaments, die für den Bericht gestimmt und sich auf die Seite der ausgebeuteten Menschen gestellt haben.
Wir unterstützen Frauen, die aus der Prostitution aussteigen wollen und erfahren täglich, wie leicht Frauen in Deutschland in die Prostitution gleiten, wie schwierig es ist, auszusteigen, wie gewaltvoll Prostitution ist und wie Frauen in der Prostitution körperlich und seelisch geschädigt werden. Wir engagieren uns für einen gesellschaftlichen Ausstieg aus der Prostitution. Und fordern unsere Regierung auf, endlich einen Kurswechsel vorzunehmen und die im EU Bericht enthaltenen Empfehlungen umzusetzen.

Links:
Pressemeldung von Maria Noichl

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