Neuigkeiten, Presse, Events


Ortsgruppe Leipzig veranstaltet Lesung von „AUSVERKAUFT“ mit Manuela Schon

Am 6. August 2023 lud die Ortsgruppe Leipzig von SISTERS – für den Ausstieg aus der Prostitution! e.V. die Soziologin Manuela Schon zu einer Lesung ihres Buches „AUSVERKAUFT – Prostitution im Spiegel von Wissenschaft und Politik“ ein.

An der gutbesuchten Veranstaltung nahm auch Johanna Glameyer von der AG LISA Die Linke teil und verfasste folgenden Bericht:

„Der Feminismus ist eine der erfolgreichsten Bewegungen der Welt. Dennoch gehören Sexismus und Diskriminierung, sexuelle Gewalt und Ausbeutung noch immer zum Alltag von Frauen. Prostitution, Pornografie und sexuelle Gewalt werden gespeist durch eine bis heute nicht überwundene sexistische Grundhaltung.“ So zu lesen bei den „Störenfriedas“, deren Anliegen es ist, den patriarchalen Frieden zu stören und sich für eine Gesellschaft jenseits von geschlechtlicher Unterdrückung einzusetzen. (siehe https://stoerenfriedas.de/sheila-jeffreys-make-up-und-schleier-laeuft-das-auf-das-gleiche-hinaus/ )

Eine dieser Frauen ist Manuela Schon. Am 6.8.2023 las sie auf Einladung der Ortsgruppe des Verein SISTERS – für den Ausstieg aus der Prostitution! e.V. aus Ihrem Buches „Ausverkauft! – Prostitution im Spiegel von Wissenschaft und Politik“ (Tredition, 2021).

Manuela Schon ist Soziologin mit den Schwerpunkten Soziale Ungleichheit und Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen. Seit vielen Jahren referiert sie national wie international zum Thema Prostitution. Sie ist politische Aktivistin, Autorin, Bloggerin bei DIE STÖRENFRIEDAS, Podcasterin und Referentin für die Koordinierungsstelle der Istanbul-Konvention der Landeshauptstadt Wiesbaden. Ihr Buch „Ausverkauft!“ gibt einen Einblick in verschiedene Aspekte des komplexen Themas Prostitution – von der feministischen Frauenforschung über Geschichte, Soziologie, Psychologie bis hin zur Kriminologie. Es beleuchtet besonders den Ansatz der Regulierung und Liberalisierung der deutschen Prostitutionspolitik und fokussiert auf die Rolle der Nachfrage, welche die Menschenhandelsströme am Laufen hält. (siehe https://manuela-schon.de/ )

Begonnen hat Manuela Schon ihr Buch als Pandemie-Projekt, gedacht als eine Art Sammlung ihrer nationalen und internationalen Vorträge. Dabei kamen unvorhergesehene 528 Seiten zusammen, die dennoch nur einen Teil der komplexen Problematik abdecken. In ihrem Vorwort schlägt sie den Bogen von eigener Unkenntnis und Unbehagen bis zu der erschütternden Erkenntnis, dass Prostitution alle Frauen angeht und Gleichstellung nur durch Abschaffung der Prostitution erreicht wird.

Wie viele Frauen sich in Deutschland in der Prostitution befinden, ist unklar. Schätzungen gehen von etwa 250.000 Frauen aus. Klar ist aber, dass die meisten der Frauen ein ähnliches Schicksal teilen. Für sie ist die Prostitution keine freie Entscheidung, sondern meist die letzte Alternative zu überleben. Klar ist auch, dass die meisten der Frauen aus Osteuropa kommen, oft sogar aus gleichen oder benachbarten Ort.

Untersuchungen zeigen, dass Männlichkeit, Gewalt und Dominanz gegenüber Frauen und Kinder besonders häufig in neonazistischen Zusammenhängen vorkommen. Hier herrschen ohnehin traditionelle Rollenverteilung, ausgeprägte hierarchische Strukturen und Überzeugungen vor, die Männer über Frauen stellen. Es existieren nachweislich enge Verbindungen zwischen diversen neonazistischen/faschistischen Vereinigungen, Motorradclubs, Rockmusikern, Clubbesitzern untereinander – mit Drogen-und Waffenhandel, Prostitution und Menschenhandel, Kinderpornografie, Gewalt und Missbrauch von Kindern und Frauen. Machtdemonstration und Erniedrigung von Frauen und Kindern, Schläge, Vergewaltigung, Tötung, dienen der Aufrechterhaltung eigner patriarchaler Positionen.

Gewalt, Zwang und Ausbeutung gehören zum Alltag prostituierter Frauen und führt zu stark erhöhter Gesundheitsbelastung, wiederkehrenden Erkrankungen und Verletzungen, ungewollten Schwangerschaften und, in Folge, -abbrüchen. Hier ist eine zusätzliche Schwierigkeit, dass viele der Frauen keine Krankenversicherung besitzen und oft kaum die deutsche Sprache sprechen. Die Gynäkologin einer Hamburger Anlaufstelle pointiert die Situation der Frauen mit ihrer sinngemäßen Aussage: „Ich kenne keine Arbeit, die so gesundheitsschädlich und tödlich ist, wie diese – und hierbei betrachte ich nur die körperlichen Aspekte. Zu den psychischen können z.B. Traumatherapeut*innen noch weiter Auskunft geben.“

Die Frage, wie eine Änderung erreicht werden kann, beantwortet das sog. „Nordische Model“, welches sich in Schweden seit gut 20 Jahren und gewissermaßen Vorwegnahme der Istanbul-Konvention etablieren konnte. „Das Nordische Modell umfasst fünf Säulen, die den Schutz und die Unterstützung für prostituierte Menschen verbessern, die Nachfrage nach Prostitution reduzieren und den Menschenhandel bekämpfen sollen sowie langfristig auf eine Gesellschaft ohne Prostitution zielen.“ (siehe Webseite von SISTERS e.V.)

Säule 1 – Entkriminalisierung Prostituierter

Das Nordische Modell erkennt die Notsituation der prostituierten Frauen an. Mit der Entkriminalisierung der Betroffenen wird verhindert, dass sie durch den Staat für etwas kriminalisiert werden, was sie im Grunde nicht tun wollen.

Säule 2 – Hilfe- und Unterstützungsprogramme

Prostituierten Frauen mit Hilfe von Ausstiegs- und Rehabilitationsprogrammen Alternativen zur Prostitution zu eröffnen, ist ein integraler Bestandteil des Modells. Notwendige Hilfen sind finanzielle Unterstützung, Unterkunft oder Unterbringung in einem Schutzhaus, gesundheitliche Versorgung, psychologische Unterstützung (Traumatherapie), Aus- und Fortbildungsangebote, Dolmetscher*innen und Hilfe bei der Perspektivenentwicklung.

Säule 3- Sexkaufverbot

Deutschland ist zu einem Hauptzielland für Sextouristen geworden, in dem durch Ausbeutung Zuhälter und Menschenhändlerjährlich geschätzt 14,6 Milliarden € verdienen. Die Nachfrage nach Prostitution und das Verhalten der Freier hängen unmittelbar mit Menschenhandel zusammen. Wird die Nachfrage reduziert, schrumpft der Prostitutionsmarkt und ist für Kriminelle uninteressant. Deshalb enthält das Nordische Modell die Säule des Sexkaufverbots: Freier machen sich durch das Erkaufen sexueller Handlungen strafbar. Sie riskieren zunehmend schwere Verurteilungen und, besonders in Schweden, durch öffentliche Prozesse und Berichterstattung, ihr Ansehen. In Ländern mit Nordischem Modell wurden Nachfrage und Menschenhandel deutlich reduziert. Für Freierkriminalisierung spricht auch, dass diese für sexuelle Handlungen bezahlen, die sie ohne Geldtransfer nicht erhielten. Prostituierte Frauen erleben sexuelle Handlungen ohne echten Konsens wie eine bezahlte Vergewaltigung. Solange eine Gesellschaft akzeptiert, dass Männer sich den Zugang zu Frauenkörpern kaufen, kann Gleichstellung nicht gelingen.

Säule 4 – Verbot des Profitierens aus der Prostitution anderer

Die Verfolgung von Tätern gestaltet sich schwierig, weil es die Aussage eines Opfers braucht, um einen Prozess führen zu können. Opfer fürchten jedoch (zu Recht), dass Tätergruppierungen sich rächen. Die Verurteilungsquoten sind folglich gering und entsprechend auch das Risiko der Täter, zur Rechenschaft gezogen zu werden. In Ländern wie Deutschland, mit legalisiertem Prostitutionsmarkt, ist das Profitieren aus der Prostitution anderer nicht grundsätzlich strafbar. Bordellbetreiber oder Zuhälter dürfen Frauen Geld abnehmen, solange es nicht ausbeuterisch ist. Ausbeutung nachzuweisen, ist gerichtlich aber kaum möglich. In Ländern mit dem Nordischen Modell ist deshalb jegliches Profitieren aus der Prostitution verboten. Das erleichtert die Strafverfolgung.

Säule 5 – Aufklärung und Prävention

Es gilt betroffene Gruppen, wie bspw. Mädchen und junge Frauen zu informieren. Die Aufklärung soll jedoch in die ganze Gesellschaft hineinwirken und die schädlichen Folgen der Prostitution für die betroffenen Frauen sowie für die Gesamtgesellschaft benennen. Studien und Umfragen belegen den Rückgang sowohl von Prostitution wie Menschenhandel, Gewalt- und Tötungsdelikten durch Freierkriminalisierung schon nach wenigen Jahren der Einführung der Gesetze. Bemerkenswert ist auch, dass es keine Belege dafür gibt, dass die Prostitution in den Untergrund verschwindet.

Mit dem Nordischen Modell sollen nicht nur Schutz und Unterstützung für prostituierte Frauen verbessert werden, sondern es geht um die gesellschaftliche Kernfrage: Soll Männern weiterhin das Recht zugestanden werden, Notlage und Benachteiligung von Frauen für ihre sexuelle Befriedigung ausnutzen zu dürfen oder wollen wir eine gleichberechtigte Gesellschaft, in der benachteiligte Gruppen unterstützt und integriert werden? Prostitution ist als Gleichstellungshindernis zu verstehen – wir sind erst frei, wenn es alle sind. Es ist also notwendig, einen Paradigmenwechsel in der deutschen Prostitutionspolitik zu bewirken, der Frauen vor Ausbeutung, Gewalt und Stigmatisierung schützt.

Auf ihrer Blog-Seite formulieren es die „Störenfriedes“ so: „Wir träumen von einer Gesellschaft, in der Frauen nicht wie Ware verkauft werden.“