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Kommentar von Leni Breymaier zur Unterbringung von Prostituierten während Corona

„Es ist eine pragmatische Idee, Frauen aus der Prostitution zu gestatten, während der Corona-Krise im Bordell zu leben und die entsprechende Regelung des Prostituiertenschutzgesetzes für die Zeit der Krise außer Kraft zu setzen.
Doch warum ist dieser Pragmatismus überhaupt nötig? Weil die Frauen sonst schlicht auf der Straße stünden.

Weil die Frauen mit ihrer Tätigkeit noch nicht einmal den Ticketpreis ins Heimatland ansparen konnten. Weil das Gesetz seit Jahren in aller Regel negiert und seine Umsetzung nicht kontrolliert wird. Weil die Frauen überwiegend eben keine Bleibe außerhalb des Bordells haben. Weil Behörden durch Briefkastenanschriften getäuscht werden und sich täuschen lassen.
Die jetzige Regelung ist nötig, weil die allermeisten dieser Frauen in Deutschland ganz überwiegend nicht gemeldet sind, keine Ansprüche auf Kurzarbeit, Arbeitslosengeld oder Hilfen für Selbstständige erworben haben. Während für andere Frauen, die Gewalt erleben, die Kostenträger bei überfüllten Frauenhäusern Hotelbetten übernehmen, gibt es für diese vielen Zwangsprostituierten und Armutsprostituierten keinen Kostenträger. Ihr Verbleib in den Bordellen sorgt für einen Verbleib an dem Ort, an dem sie Gewalt und Demütigungen erleben und schwere traumatische Erfahrungen machen mussten. Ich brauche nicht viel Fantasie um mir vorzustellen, dass die Frauen die jetzige Unterbringung nach Beendigung der Corona-Krise erst einmal abarbeiten müssen. Auch hier müssen wir aus der Krise lernen.“

Aus diesem Kommentar haben Mara Hädrich und Lukas Claes in einem Artikel zu einem taz-Beitrag zitiert, den wir hier gerne veröffentlichen:

Wenn im linken Diskurs der Vogelschutz vor Frauenrechten steht Prostitution und ihre Darstellung in der taz in Zeiten der Corona-Krise

Mara Hädrich & Lukas Claes

Die Corona-Krise bestimmt derzeit unser Leben. Mit der Verhängung von Ausgangsbeschränkungen, die die Ausbreitung des Virus verlangsamen sollen, gehen für viele Menschen berufliche Existenzängste einher. Besonders hart trifft es dabei Prostituierte, welche bereits vor der Verbreitung des Virus unter menschenunwürdigen Bedingungen beschäftigt waren. Mit dem Mitte März zunächst für einige Städte bzw. Bundesländer, später für ganz Deutschland verhängten Prostitutionsverbot wird den in der Prostitution beschäftigten Frauen jegliche Existenzgrundlage entzogen, ohne dass von staatlicher Seite ausreichende Hilfe zur Verfügung gestellt wird. Die schätzungsweise 300.000 Frauen, die in Deutschland Freiern ihre Körper zur Verfügung stellen müssen, sind zu 90% Armutsprostituierte aus vorrangig osteuropäischen Ländern wie Bulgarien oder Rumänien, aber derzeit auch vermehrt aus Nigeria. Wegen der Schließung der Grenzen können sie nicht oder nur mit großen Schwierigkeiten zu ihren Familien in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Ohnehin fehlen den ausgebeuteten Frauen die finanziellen Mittel für ihre Heimkehr. In der derzeitigen Situation werden sie von den Bordellen, in denen sie oftmals auch leben, auf den Straßenstrich gedrängt. Gerhard Schönborn von der Ausstiegsorganisation Neustart e.V. beschreibt eine Verschlechterung der Lebenssituation wie folgt: „Die Frauen wissen jetzt nicht, wie sie überleben können. Sie brauchen Geld für ihren Lebensunterhalt. Sie brauchen Geld zur Finanzierung ihrer Drogen oder Möglichkeiten zum körperlichen Entzug. Viele der Frauen sind verzweifelt, weil sie nicht wissen, wie sie die nächsten Wochen bewältigen können.”  Um irgendwie ein Dach über dem Kopf behalten zu können, sind die Frauen darauf angewiesen, dass die Zuhälter ihnen ihre Bordellzimmer auch weiterhin zur Verfügung stellen. „Ihr Verbleib in den Bordellen sorgt für einen Verbleib an dem Ort, an dem sie Gewalt und Demütigungen erleben und schwere traumatische Erfahrungen machen mussten”, stellt die Vorstehende der Ausstiegshilfe Sisters e.V. Leni Breymaier klar. Es sei damit zu rechnen, „dass  die Frauen die jetzige Unterbringung nach Beendigung der Corona-Krise erst einmal abarbeiten müssen.“ Dass sich die Frauen aktuell also verschulden und sich das Abhängigkeitsverhältnis zu ihren Zuhältern weiter verschärft, scheint die dem linken Spektrum zugehörige deutsche Tageszeitung taz nicht zu interessieren, wenn sie Bordellbesitzer als Helden der Krise für ihre Großzügigkeit feiert. Offensichtlich verkennt taz-Autorin Patricia Hecht, dass die Zuhälter für ihr Einkommen auf die finanzielle und oft auch emotionale Abhängigkeit der Frauen angewiesen sind. Stattdessen macht Hecht es sich einfach, indem sie einen Bordellbetreiber unwidersprochen die Schuld an der leidvollen Situation der Frauen dem vermeintlich mangelnden Engagement der Ausstiegs- und Unterstützungsorganisationen zuschieben lässt. Grundsätzlich ignoriert wird dabei, dass Organisationen wie etwa Sisters e.V., Terre des Femmes, Netzwerk Ella, aber auch Neustart e.V. seit Jahren auf die prekäre Lage von Frauen in der Prostitution aufmerksam machen und die Politik zum Handeln auffordern. Entsprechend fordern sie die Einführung des nordischen Modells, welches Freier für den Kauf von Sex und sexuellen Dienstleistungen bestraft, während die Prostituierten unbehelligt bleiben und von staatlicher Seite Ausstiegshilfe und Existenzsicherung geboten werden. Besonders grotesk erscheint der Artikel der taz, wenn nur wenige Tage später die Futtersituation von Stadttauben, die aufgrund fehlender FußgängerInnen in den Einkaufsstraßen der deutschen Städte keine Pommes mehr fressen können, betrauert wird. Die Petition des NABU wird von der taz als „Petition der Woche” auserkoren. Schließlich geht es hier um Straßentiere, deren Existenzsicherung weit wichtiger zu sein scheint, als die der Frauen, die tagtäglich die sexuellen Bedürfnisse von Männern befriedigen müssen. Es verdichtet sich der Eindruck, dass der taz jegliches Taktgefühl und jegliche Achtung vor Frauen fehlt.   Um dem Ganzen noch ein i-Tüpfelchen zu verleihen, lässt die taz in ihrer aktuellen Wochenendendausgabe in dem Artikel „Sexarbeiterin über Corona-Kontaktsperre. Bedrohte Kultur der Berührung” eine selbstständige „Sexarbeiterin” zu Wort kommen, die aufgrund der aktuellen Corona-Krise neben ausbleibenden Einnahmen auch die fehlende Freude am Sex beklagt. Dies ist jedoch keineswegs repräsentativ für das Gros der prostituierten Frauen, die in der niedrigpreisigen Bordell- und Straßenprostitution tätig sind. Für diese Armutsprostituierten stellt der tägliche Geschlechtsverkehr mit verschiedenen Männern eine finanzielle Notwendigkeit dar, die mit immensen physischen und psychischen Belastungen einhergeht. Dass die taz an diese tragischen Schicksale nicht denkt, zeigt der Aufruf, den Fond des Berufsverbands erotische und sexuelle Dienstleistungen (BSD) zu unterstützen. Anstatt die Interessen der Armutsprostituierten zu vertreten, macht dieser nämlich vor allem Lobbyarbeit für Deregulierung. Während also über das Leid hunderttausender in der Prostitution tätiger Frauen in Deutschland geschwiegen wird, spricht die taz über die Rettung von Stadttauben. Eine kritische Analyse der frauenfeindlichen Natur von Sex-Kauf hingegen wird versäumt. Unter der verbreiteten Auffassung, dass Männer käuflichen Zugang zu Frauenkörpern haben sollten, wird die großflächige Ausbeutung von Prostituierten auch die Corona-Krise überdauern können.