Wir von SISTERS – für den Ausstieg aus der Prostitution! e.V. berichten an dieser Stelle regelmäßig über unsere Öffentlichkeitsarbeit und verlinken diverse Medienberichte zu unseren Aktivitäten. Heute geben wir jedoch einen Einblick in die praktische Arbeit, die ein wesentlicher Teil unseres Engagements ist.
SISTERS hat sich zum Ziel gesetzt, Frauen beim Ausstieg aus der Prostitution zu unterstützen. Das ist uns so wichtig, dass wir unser Ziel gleich in den Vereinsnamen geschrieben haben. Wir glauben, dass Prostitution ein Unrechtssystem ist, das allen schadet. Frauen, Männern und ganz besonders denjenigen, die in diesem System leben müssen. Und für die wollen wir da sein und nach Kräften helfen. Die meisten Anfragen erreichen uns per Mail. Immer geht es um die Hilfe zum Ausstieg. Manchmal schreiben die Frauen selbst, manchmal sind es Freunde, Bekannte oder Familienangehörige, die sich an uns wenden. Mitunter wenden sich auch Mitarbeiterinnen aus Beratungsstellen und Behörden an uns, die Unterstützung in der Betreuung einer Frau benötigen, die aus der Prostitution aussteigen möchte und in ihrer Stadt keine Beratungsstelle finden, die sich auf Ausstiegsarbeit spezialisiert hat und wirksame Hilfe anbieten kann. Jenseits der Fachberatungen per Mail, Telefonat oder im persönlichen Gespräch ist manchmal auch finanzielle Hilfe notwendig.
Im Jahr 2019 haben wir 49 Frauen beim Ausstieg aus der Prostitution finanziell unterstützt. Die Hilfe war recht facettenreich: angefangen von ein paar Euros für ein Ticket ins Heimatland, bis hin zu vierstelligen Summen für einzelne Frauen, die zusammenkommen können, wenn die Ausgangslage der Frau ganz besonders schwierig ist. In der ersten Ausstiegsphase finanzieren wir zunächst Unterkunft und Lebensunterhalt, gelegentlich regulieren wir Schulden, wenn das den Ausstieg möglich macht, und in einzelnen Fällen unterstützen wir auch Frauen, die schon vor einer ganzen Zeit aus der Prostitution ausgestiegen sind und in so große Not geraten, dass dieser Ausstieg gefährdet ist. Mitunter übernehmen wir Kosten für medizinische Hilfe und Medikamente, weil die allermeisten Frauen nicht krankenversichert sind und ansonsten diese Hilfe nicht erhalten könnten.
Jede Frau, die aus der Prostitution aussteigt, ist besonders. Während einige ziemlich gut mit den Verletzungen, die ihnen in der Prostitution zugefügt wurden, zurechtkommen, haben andere sehr große Schwierigkeiten sich in einem freien Leben zurechtzufinden. Der Weg aus der Prostitution ist schwer und die Frauen leben meistens unter sehr prekären Verhältnissen. Da können ungeplante Ausgaben schon mal den Alltag ins Wanken bringen und unsere Hilfe kann streckenweise die notwendige Stabilität wiederherstellen. Jeder Fall, jede Frau ist anders, jede hat andere Problemstellungen, aber sie alle kommen mit schweren Verletzungen aus der Prostitution.
Der Schwerpunkt der Ausstiegsarbeit findet in Stuttgart statt. Das liegt auch daran, dass neben den vielen ehrenamtlichen Vereinsmitgliedern ein gut ausgebautes Netz an öffentlichen Hilfsstrukturen existiert. Die Stadt Stuttgart ist seit vielen Jahren eine Vorzeigekommune für die Hilfe von Prostituierten. Und dann liegt unsere erste Ausstiegswohnung mitten in Stuttgart. Alice Schwarzer hatte uns schon ein Jahr zuvor eine Spende von 20.000 Euro für diesen Zweck zukommen lassen. Zunächst haben wir auf dem angespannten Wohnungsmarkt keine passende Wohnung finden können. Doch dann kam nochmal Hilfe: Das feministische Magazin EMMA hat kurzer Hand prominent auf Seite drei für uns geworben. Das hatte schnellen Erfolg, denn unsere jetzige Vermieterin hat uns eine großartige Wohnung angeboten. Seit Oktober 2018 können wir nun Aussteigerinnen hier unterbringen. Die Frauen fühlen sich dort sehr wohl. Und auch unsere Vermieterin samt aller Nachbarn im Haus, sind mit uns glücklich.
Bisher lebten acht verschiedene Frauen in der Wohnung. Der Aufenthalt der Frauen ist unterschiedlich lang. Eine Frau war nur sehr kurz auf der Flucht vor ihrem Zuhälter bei uns, und ist dann in ein anderes Bundesland weitergereist. Weiterhin wieder wohnt seit Sommer eine Aussteigerin bei uns, die schwanger zu uns kam und in unserer Obhut ihr Kind zur Welt gebracht hat. Der kleine Junge ist somit das erste „Sisters-Kind“. Die Mutter kann mittlerweile nach Beendigung des Mutterschutzes einer kleinen sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nachgehen und wird demnächst den nächsten Schritt wagen.
Generell bieten wir jeder Frau, die uns um Hilfe bittet, an, noch am selben Tag auszusteigen. In ganz Deutschland. Nach ersten – meist telefonischen – Gesprächen schauen wir, ob Sistersmitglieder in der Nähe leben, die sich mit der Frau treffen können und vielleicht sogar im selben Ort den Ausstieg begleiten. In jedem Fall können die Frauen zu uns nach Stuttgart kommen. Wenn gerade kein Bett in unserer Ausstiegswohnung frei ist, bringen wir die Frauen zunächst in einer Pension unter. Und die Vereinsmitglieder, die sich der Ausstiegsbegleitung verschrieben haben, unterstützen die Frau in den nächsten Wochen und Monaten in den verschiedensten Bereichen. Arbeitssuche, Übersetzungsarbeiten, Lebensläufe erstellen, Deutschlernen, Freizeitgestaltung und manchmal auch einfach nur da sein und zuhören.
Am Wichtigsten ist es, nach dem Einleben in der neuen Unterkunft, eine neue Struktur in den Tag zu bekommen. Und Arbeit zu finden, die der Schlüssel zu einem dauerhaften Leben in Deutschland. Aktuell haben wir zwei junge Frauen, die angefangen haben als Zimmermädchen in einem Hotel zu arbeiten und nun ihr erstes Geld in Deutschland außerhalb des Prostitutionssystems verdienen. Viele der ersten Jobs sind im Reinigungsbereich. Zum einem, weil viele der Frauen so früh in die Prostitution eingestiegen sind, dass sie noch keine Ausbildung haben, zum anderen, weil diese Jobs oft auch schon ohne Deutschkenntnisse angenommen werden können. Schnell ein normaler Job, schnell eigenes Geld verdienen, etwas zu tun zu haben und eigenständig leben zu können, ist der brennendste Wunsch der Frauen. „Ich will ein normales Leben“ sagen sie.
Unsere Arbeit finanziert sich zu 99% aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen. Das restliche Prozent sind zugewiesene Bußgelder. In Deutschland können Ermittlungs- und Strafverfahren in Fällen geringer Schuld oder bei Strafaussetzung zur Bewährung gegen die Zahlung einer Geldauflage eingestellt werden.
Für die Entscheidung, an wen Bußgelder vergeben werden, gibt es keine starren Regeln. RichterInnen und StaatsanwältInnen haben dabei ihren eigenen Spielraum.
Wir sind bei 15 Oberlandesgerichten in Deutschland in die Bußgeldlisten eingetragen.
Arbeiten Sie als Schöffin oder Schöffe, sind selbst in der Justiz tätig oder haben Bekannte in diesem Arbeitsfeld? Dann schlagen Sie doch bei Gelegenheit SISTERS e.V. als Empfänger für Bußgelder vor.
Wir können das Geld gut gebrauchen.