Letzte Woche war wieder ein Hilferuf im Postkasten der Sisters: „Guten Tag, ich habe Ihre Kontaktadresse aus dem Internet. Ich benötige dringend Hilfe beim Ausstieg. Bitte melden Sie sich schnellstmöglich …“ Dieser Hilferuf ist einer von vielen. Die Frauen, die sich bei uns melden stehen am Ende ihrer „Prostitutionskarriere“. Sie leiden unter Depressionen und Ängsten, können nicht mehr schlafen, entwickeln Essstörungen und vieles mehr, was ihnen die das Leben so richtig schwermacht. Die allermeisten schreiben aus Bordellen, Clubs oder sonstigen so genannten Prostitutionsobjekten. In mehr oder weniger gutem Deutsch. Fast alle haben keinen deutschen Pass und nicht die Möglichkeit, zu einem Jobcenter zu gehen und sich dort bei der Suche nach einer alternativen Arbeit unterstützen zu lassen. Sie sind gefangen. Bekommen sie die horrende Bordellmiete nicht mehr zusammen, stehen sie auf der Straße. Die meisten ohne einen Cent in der Tasche und ohne eine Idee, wo und wie sie nächste Nacht überstehen können.
Diese junge Frau, die uns mit ihrem Smartphone die Nachricht geschrieben hat, lebt seit drei Jahren in Deutschland. Sie ist erst 21 Jahre alt, hat aber schon zwei Töchter in Rumänien, die dort bei ihrer Großmutter leben.
Als wir sie in einem Café treffen sehen wir eine bildhübsche Frau, die schon fantastisch gut Deutsch spricht. Sie ist sehr zurückhaltend, sehr höflich und sehr still. Es dauert eine ganze Weile, bis sie ein bisschen Vertrauen fasst und von sich erzählt: dass sie das erste Kind mit gerade 16 Jahren bekommen hat und deshalb keine Berufsausbildung machen konnte. Wie sie viel zu früh geheiratet hat, und ein Jahr nach der Geburt der ersten Tochter schon das zweite Kind unterwegs war. Sie erzählt von ihrem Ehemann, der brutal und lieblos war und spricht von dem Tag an, an dem er sie töten wollte. Sie hat knapp überlebt, war lange im Krankenhaus, und ihr Mann wurde verhaftet und zu vielen Jahren Gefängnis verurteilt. Da ist er immer noch und hat noch einige Jahre Haft vor sich. Mittlerweile ist sie geschieden und hat das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder. Aber er schreibt Briefe an ihre Heimatadresse und droht ihr. Immer noch und obwohl er in Haft ist. Und sie hat immer noch Angst und will deshalb nicht dahin zurück, wo er sie vermutet.
Eigentlich wollte sie gar nicht in der Prostitution arbeiten, als sie nach Deutschland kam. Sie dachte an einen Job wie Bedienung oder Reinigungskraft. Aber das ging nicht. Die Freundin, mit der sie kam, kannte nur den Sex Club, in dem sie selbst arbeitete. Und da konnte sie nur übernachten, wenn sie sich dort auch verkaufte. So stieg sie ein. Das war hart, aber sie konnte Geld nach Hause schicken – von einem Job in einem Restaurant, hat sie ihrer Mutter erzählt.
Aber jetzt kann sie eben nicht mehr. Der Ekel ist zu groß, die Depression zu dunkel. Sie kann nicht mehr lächeln und jeder Freier ist für sie ein Alptraum. Sie hält keinen einzigen mehr aus, erzählt sie uns. Es sei schrecklich von den Männern angefasst zu werden, ihnen zuhören zu müssen, nett zu sein und sich am Ende auch noch von ihnen vergewaltigen zu lassen. Das Ganze sei ein einziger nicht enden wollender Horrortrip.
Wir finden eine Lösung für die junge Frau. Das ist sicher. Sie wird eine Meldeadresse bekommen, dann einen Arbeitsvertrag irgendwo im Niedriglohnbereich, sie wird ein Girokonto haben, in einer Krankenkasse sein und sich in einigen Monaten selbst unterhalten können. Und dann, wenn sie wieder auf die Beine gekommen ist, wenn sie wieder spüren kann, wie stark sie ist, dann kann sie auch nachdenken, wie es für sie selbst und ihre Kinder in Zukunft weitergehen kann. Hier oder im Heimatland.
Nachdem wir diese junge Frau aus dem Sex-Club holten, war ihr Platz innerhalb weniger Stunden wieder mit einer neuen Frau besetzt. Es gibt viel zu viele Männer und Familien, die nach Plätzen suchen, um Frauen in die Prostitution zu stellen und dann von dem Geld, das sie mit ihr erwirtschaften, zu leben. Das ist die Regel. Die junge Frau, die wir letzte Woche kennenlernten, ist, weil bei ihr kein parasitärer Mann im Hintergrund steht, eine Ausnahme.
Hilfe für den Ausstieg aus der Prostitution ist angesichts des unendlichen Elends der dort ausgebeuteten Frauen dringend erforderlich. Daran führt kein Weg vorbei. Wir wollen den prostituierten Frauen, die den Mut und die Kraft zum Ausstieg finden, die Hand reichen. Dafür arbeiten wir, das ist Programm und dafür steht SISTERS e.V. – für den Ausstieg aus der Prostitution.
Wir setzen uns für ein Sexkaufverbot ein. Denn nur wenn Männer aufhören sich Frauen zur sexuellen Benutzung zu kaufen, werden nicht Hunderttausende Frauen in der Prostitution versklavt.
Und nur wenn die Gesellschaft sich mit der Realität der Prostitution auseinandersetzt, wenn wir alle hinschauen, uns informieren, miteinander reden und Verantwortung übernehmen, können wir diesen grausamen Markt beenden.
Deshalb diese Kampagne gegen die Gleichgültigkeit.
Machen Sie mit!