Selten war sich die Linke so einig wie bei der Bewertung der Prostitution. Diese sei „Sexarbeit“, eine Dienstleistung wie jede andere auch, und jede staatliche Regulierung abzulehnen. Dass alle Statistiken, Untersuchungen und Berichte dagegen sprechen, hat hier keinen Einfluss.
Warum aber ist die Verteidigung der „Sexarbeit“ für die gegenwärtige Linke so wichtig, dass sie hier alle Reflexion fahren lässt? – Die Antwort liegt im falschen Konstrukt der „Sexarbeit“ selbst: dahinter steht die Verdrängung der Körperlichkeit, der Sexualität und der objektiven Grenzen, die das kapitalistische Patriarchat auch dem eigenen Lebensentwurf setzt. Schaut man sich die Realität der „Sexarbeit“, der Prostitution, genauer an, so liegt die Sache eigentlich eindeutig.
Argumente, frisch aus der Kreativwerkstatt
Praktisch alles vorhandene Material, die Berichte von AussteigerInnen, SozialarbeiterInnen und PolizistInnen, verweisen auf die ungeheuerlichen Missstände der (in Deutschland legalisierten) Prostitution; auf die Schädigungen, die diese selbst bei den sich freiwillig prostituierenden Frauen hinterlässt; auf die immer tiefere Verstrickung der Frauen in Schulden, soziale Abhängigkeit, Drogen und Armut; schlussendlich aber auch auf die zerstörerische Wirkung, die der barrierelose, käufliche Zugriff auf Frauenkörper auch für die Käufer, die Männer, hat: wie dies ihre Fähigkeit, „normale“ Beziehungen mit Frauen zu führen, ruiniert und sie nicht selten selbst in eine Abhängigkeit vom gekauften Sex treibt. In Schweden und anderen Ländern führte die breite Untersuchung, Darstellung und Diskussion dieser Tatsachen schlussendlich zum Verbot der Prostitution, mit Bestrafung nicht der Prostituierten, sondern der Freier und Zuhälter, während für die Prostituierten Ausstiegsprogramme und Hilfsangebote eingerichtet wurden.
Was die GegnerInnen dieses „Schwedischen Modells“, die BefürworterInnen einer weiteren Deregulierung der Prostitution, argumentativ dagegen zu setzen haben, ist in den meisten Fällen frappierend. Es beginnt damit, dass man sich in der Mehrzahl der in linken Zeitungen dazu abgedruckten Artikel erstmal durch mehrere Absätze hässlicher Anwürfe und bösartiger Zuschreibungen gegen den „Radikalfeminismus“ im Allgemeinen, die Zeitschrift Emma und die Person Alice Schwarzer im besonderen durchwühlen muss, um überhaupt zum argumentativen Kern zu kommen. Diese könnten sich keine selbstbestimmte Prostitution vorstellen, hätten Angst vor der selbstbestimmten Prostituierten und der weiblichen Promiskuität, würden männliche Prostituierte absichtlich ignorieren usw. usf.
Die eigentlichen Argumente der ProstitutionsbefürworterInnen beruhen dann meist nicht auf Analysen, Fallschilderungen oder statistischem Material, sondern auf spitzfindigen und höchst „kreativen“ Gedankenspielen, als wäre man in einem Pro- und Kontra-Debattierclub gelandet (siehe hierzu auch Die Prostitutions-Lügenlobby, Ausgabe 17/2015). Es werden viele gute Gründe gesucht, um zu erklären, warum z.B. eine vollständige Streichung aller regulierenden Gesetze in der Prostitution, anders als in jedem anderen „Berufszweig“, die Situation nicht für die Ausbeuter der Prostituierten, sondern, im Gegenteil, für die Prostituierten selbst verbessern soll. Oder warum andererseits schon die staatliche Verpflichtung, dass die Freier bei der Penetration ein Kondom zu tragen haben, ein unerhörter Eingriff ins Menschenrecht, nein, nicht der Freier, sondern der Prostituierten darstellt. Oder warum ein Verbot der Prostitution, des Verkaufs von Frauenkörpern als Ware, den illegalen Menschenhandel, indem Frauen auf ebensolche Körper reduziert werden, nicht eindämmen, sondern, im Gegenteil, verstärken soll.
Die hierfür entworfenen „Argumentationen“ sind natürlich genauso absurd wie die Thesen, und halten keiner näheren Betrachtung stand. Sie wurden oft und treffend widerlegt, z.B. in dem offenen Brief der Prostitutionsaussteigerin Huschke Mau, oder in den eindeutigen Antworten, die den FreundInnen der „freiwilligen Sexarbeit“ auf den Blogs Abolition2014, Banishea und Störenfriedas gegeben wurden.
Die Frage andersherum stellen…
Aber um all das soll es an dieser Stelle nicht gehen. Die zur Begründung herangezogenen Argumentationen sind zu durchsichtig, zu platt, zu mechanisch, und oftmals einfach zu blöd, um bei ihnen stehen zu bleiben. Ganz abgesehen davon, dass die Kritik dieser Argumentationen und die Darstellung des Gegenteils offenbar kaum zur Kenntnis genommen wurden.
Nein, es zeigt sich hier etwas anderes in dieser Debatte, das es nun selbst zu beleuchten gilt. Angesichts all der vorgeschobenen und nicht selten an den Haaren herbeigezogenen „Argumente“, angesichts der Ignoranz gegen alle Fakten, und angesichts der gereizten Wut gegen den „Radikalfeminismus“ und der Dämonisierung seiner Vertreterinnen, drängt sich der Gedanke auf, dass es hier um diese „Argumente“ eigentlich gar nicht geht, sondern dass diese selbst nur den Status von nachträglichen Rationalisierungen besitzen: Rationalisierungen für eine vorab gefasste, unabhängig von argumentativ unterlegtem Denken gefasste Positionierung. Anstelle eines ewigen Hase-und-Igel-Spiels stellt sich die Frage: warum ist die Verteidigung der „Sexarbeit“ für die Linke eigentlich so wichtig, dass sie alle Logik und Reflexion fahren lässt? D.h., welchen „Mehrwert“ beziehen die VertreterInnen dieser Position aus der Affirmation der Prostitution als „Sexarbeit“? Und was würde ihnen verloren gehen, wenn die „Sexarbeit“ tatsächlich als dass erkannt und anerkannt würde, was sie ist?
Wir wollen uns unter diesem neuen Blickwinkel das linke Konstrukt der „Sexarbeit“ nochmal genauer ansehen.
„Sexarbeit“ als Dienstleistung – die Entsorgung von Körperlichkeit und Sex
Eine der zentralen Behauptungen der BefürworterInnen der „Entkriminalisierung“ und Deregulierung ist, dass es sich bei der Prostitution doch um „Sexarbeit“, um eine ganz normale Dienstleistung handeln würde – und es schlussendlich nur die gesellschaftliche „Prüderie“ sei, die dies nicht wahrhaben wolle:
„Eigentlich ist es doch ganz einfach: Erstens ist Sexarbeit eine Dienstleistung. […] Die Sexarbeiterinnen, um die es also geht, haben sich aus freien Stücken zu ihrem Job entschlossen. Aufgrund ihrer finanziellen Situation sind sie zwar mehr oder weniger zu einer Arbeit gezwungen, das trifft aber auch auf jede andere Erwerbstätigkeit zu. Manche ziehen es nun einmal vor, im Bordell zu arbeiten statt etwa an der Supermarktkasse oder im Callcenter, wo sie lediglich einen Bruchteil des Lohns bekommen würden.“ (Freitag, 3.5.2015)
„…handelt es sich doch bei Prostituierten um Menschen, die vor allem aus einem Grund stigmatisiert und diskriminiert werden: Sie bieten sexuelle Handlungen als Dienstleistung an.“ (taz, 12.08.2015)
„Was das Verkaufen von Sex zu einer Frauenarbeit mit derartigem Aufregungspotential macht, ist unsere Moral – eine Moral, die immer noch in patriarchale Logiken eingelassen ist, die bestimmte Frauenrollen als „normal“ und „respektabel“ legitimiert und andere illegitimiert.“ (Missy Magazine, 25.02.2014, online)
„…dass sich die Verbrechen…nur dann wirksam bekämpfen lassen, wenn die Prostitution als solche (also der Tausch von Sex gegen Geld unter Erwachsenen in gegenseitigem Einverständnis) nicht mehr als kriminell gilt…“ (jungle World, 27.8.2015)
„Wir leben in einem kapitalistischen System, und Menschen werden ständig dazu gezwungen, ihre Arbeitskraft, ihre Zeit und Gesundheit dem Geldverdienen zu unterwerfen. Ist es wirklich ein so großer Unterschied, ob jemand seinen Körper in der Altenpflege oder auf dem Bau kaputtarbeitet oder denselben Körper für sexuelle Handlungen zur Verfügung stellt? In welchem Jahrhundert leben wir, dass wir Sexualität noch immer mit anderen Maßstäben messen?“ (Zeit online, 13.8.2015)
Genau wie bei anderen Jobs die Verfügung über die eigenen Nerven, Muskeln und das eigene Hirn zeitweise verkauft werden, so verkaufe man in der Prostitution halt die Verfügung über den eigenen Körper, der hier als Ware zu Markte getragen wird.
Diese grundsätzliche Betrachtungsweise der „Sexarbeit“ als „Dienstleistung wie jede andere auch“ ist keinesfalls bloße moralische Bewertung, wie von seiten der ProstitutionsbefürworterInnen gern unterstellt wird, sondern impliziert eine ganz bestimmte Vorstellung vom Verhältnis zum eigenen Körper, der als Ware verkauft wird. Die schwedische Feministin und Marxistin Kajsa Ekis Ekman schreibt in ihrem bemerkenswerten Buch „Being and being bought“ (Sein und gekauft werden, original schwedisch 2010):
„Wenn wir von sexuellen Dienstleistungen sprechen, haben wir uns mehrere Schritte vom menschlichen Individuum wegbewegt. Wir sprechen nicht mehr über Göran, 56 Jahre, der seiner Frau und seinen Kindern sagt, dass er länger arbeiten wird aber stattdessen die 17jährige Miriam besucht; wir sagen nicht, dass sie in seinem Auto sitzen, dass er den Fahrersitz zurückstellt, dass Toilettenpapier auf seinen Schamhaaren liegt, etc. Stattdessen haben wir etwas abstraktes: eine sexuelle Dienstleistung. Denken wir über diese Phrase, die beschreiben soll, was in der Prostitution passiert, nach: sie verkauft Sex an ihn. Was sagt uns das? Sex schwebt in der Luft zwischen zwei Personen als wäre es komplett losgelöst, ein Produkt, dass Frauen nunmal besitzen.“ (S. 91, unsere Übersetzung)
An der linken „Erzählung“ von der Sexarbeit ist auffällig, dass diese körperliche Erfahrungsebene überhaupt nicht vorkommt, vielmehr komplett ausgeblendet wird. Die „Sexarbeit“ soll „entstigmatisiert“ werden – aber gerade auf eine Weise, die das, was dort passiert, selbst ausblendet. Kajsa Ekis Ekman zitiert als ein für diese „sex-positive“ und „entstigmatisierende“ Position typisches Beispiel die Wiedergabe dessen, was ein Neunjähriger obdachloser Junge in Australien erlebt, der sich zum ersten Mal an eine Gruppe Männer verkauft:
„Einige Männer nahmen ihn mit nach Hause ins Bett, gaben ihm ein gutes Abendbrot und Frühstück und ein warmes Bett für die Nacht. Sex war involviert, aber am morgen gaben sie ihm 50 $. Peter fand es unglaublich – ein warmes Bett, viel „Zuneigung“, Essen und mehr Taschengeld, als er jemals in seinem Leben hatte.“ (Zitiert nach Ekman, S. 25)
Kajsa Ekis Ekman merkt dazu treffend an: „Ein wiederkehrendes Paradox in der Erzählung von der „SexarbeiterIn“ ist, dass obwohl es scheinbar ein pro-Sex-Erzählung ist, sie tatsächlich alle sexuellen Akte mit schönen Worten umschreibt, als ob es darum gänge, den Diskurs selbst zu läutern. […] Der Übergriff wird in passiver Form beschrieben: „Sex war involviert.“ Es gab keine Täter, Opfer oder auch nur Akteure. Uns wird nicht erzählt, wie viele Männer das Kind missbrauchten, was sie taten und wie lange es dauerte. Alle diese Fakten werden beiseite gewischt zugunsten der Nachricht, dass Peter 50 Dollar erhielt.“ (S. 25f)
Wir stehen hier vor einem eigenartigen, doppelten Paradox. Zum ersten kommt das, um was es bei der Prostitution gerade ging: Sex im Doppelsinn – nämlich als Geschlechtsakt, der reale Menschen und ihre Körper involviert, und zugleich, davon untrennbar, als Geschlecht, als Männlichkeit und Weiblichkeit – plötzlich gar nicht mehr vor. Es ist in der Tat auffällig, dass man in den Pro-Prostitutionsartikeln nie über das liest, was Prostitution gerade ausmacht, und an dem gerade der Begriff der Sache zu entwickeln wäre: nirgendwo über „sie wollte, dass ich aufhöre [mit Analsex] [… ] mir war nur nicht danach“, nirgendwo über „da gabs aber auch einen kleinen eklat, weil einer aus der gruppe ihr ins gesicht gespritzt hat, und sie angeblich vorher gesagt hatte, dass das nicht drin ist“ usw. (Quelle: freiersblick.wordpress.com) Es ist nicht allein, dass das Geschlecht der Akteure ausgeblendet wird, sondern ebenso, dass die Körperlichkeit allgemein verschwindet.
Aber diesem Paradox folgt ein zweites: dass nämlich gerade die Linke, die in ihrer eigenen „Sexarbeits“-Affirmation in keinem einzigen Artikel ohne Prüderievorwürfe gegen den „Radikalfeminismus“ auskommt – dass gerade diese Linke dem, was hinter dem Konstrukt der „Sexarbeit“ steht, nicht ins Auge sehen mag. Warum aber diese eigenartige Ausblendung der Körperlichkeit?
Die große ideologische Entsorgung – weg mit Körper, Gesellschaft, Patriarchat
Kajsa Ekis Ekman weist in ihrer Analyse der Prostitution und des „Sexarbeits“-Konstrukts darauf hin, wie im Zentrum der Erzählung von der „Sexarbeit“ die Behauptung der vollständigen Trennung von Körper und Geist, der Abspaltung alles Körperlichen steht. Obwohl die Prostituierte scheinbar ihren eigenen Körper – also doch auch sich selbst – verkauft, soll sie das, was diesem widerfährt, nicht berühren, sie sei lediglich die Maklerin dieses Körpers. Die Abspaltung des Körpers ist Voraussetzung dafür, dass die Prostituierte als solche freie Maklerin erscheinen kann; zugleich steckt dahinter aber auch die zwanghafte Abwertung des Körpers selbst:
„Wir hören oft von „De-Stigmatisierung“. Die Prostituierte soll nicht länger als „schwachsinnig“ angesehen werden; sie ist genauso (wenn nicht noch mehr) ein Subjekt wie jede andere Person. Aber genau aus diesem Grund muss sie von ihrem Körper getrennt werden: dieser Körper muss nun zum Objekt werden, dieser Körper muss stigmatisiert werden, weil dieser Körper es ist, der gekauft wird. […] das gespaltene Selbst steht im Zentrum der Erzählung von der SexarbeiterIn.“ (S. 88)
Diese behauptete Trennung – und hieran deutet sich ihr ideologischer Charakter schon an – ist jedoch weder freie Entscheidung, noch steht sie außerhalb gesellschaftlicher Verhältnisse. Vielmehr hat sie eine lange Tradition, die mit der Herausbildung der kapitalistisch-patriarchalen Gesellschaft selbst einher geht:
„Hier ist es, dass der Dualismus zwischen Körper und Geist perfekt hineinpasst. Dieser Dualismus, ein zentraler Aspekt der westlichen Philosophie, stellt ein Modell bereit, mit dem es möglich wird Prostitution als Form der Freiheit zu rechtfertigen. Behauptungen, dass der Körper nicht mit dem Ich identisch ist, existierten seit Sokrates und Descartes, ganz abgesehen von den großen Religionen.“ (S. 88f)
Es ist keinesfalls zufällig, dass diese Abspaltung und Abwertung der eigenen Körperlichkeit in den letzten zwanzig Jahren wieder höchst aktuell geworden ist. Wir stehen am Höhe- und Umschlagspunkt der kapitalistischen Entwicklung, an dem die absolute Freiheit des Individuums nicht mehr nur von einzelnen Philosophen gedacht wird, sondern verbindliches Leitbild für alle gesellschaftlichen Schichten geworden ist. Jeder Verweis auf die eigene Körperlichkeit, die eigene Tradition und dergleichen erscheint unter der universellen Herrschaft des freien Marktes als reaktionärer Schwindel.
Die Erinnerung an die eigene Körperlichkeit ist für die Individuen unter diesen Bedingungen eine höchst unerwünschte. Sie erinnert sie zugleich an die Schranken, die die patriarchale Gesellschaft ihren Mitgliedern, insbesondere Frauen, auferlegt. Sie erinnert daran, dass – aller gesellschaftlichen Gleichheitsideologie zum Trotz – die Schlechterstellung von Frauen, ihre Reduktion auf eine symbolhafte Körperlichkeit und ihre ideologische Rollenzuweisung allgegenwärtig und vom kapitalistischen Fortschritt nur modifiziert, aber nicht überwunden sind. Sie erinnert aber auch daran, dass das eigene Leben der Individuen, jenseits aller modischen queeren Attitüde und aller „Dekonstruktion“ des Geschlechts, meist in recht konformistisch-heterosexuellen Bahnen abläuft – spätestens, sobald frau das erste Kind bekommt. Das Eingedenken dieser Körperlichkeit zwingt notwendig zur Reflexion – darüber, dass diese Gesellschaft selbst beschränkt und unfrei ist; dass das eigene Leben beschädigt ist; und dass ein stupides Mitmachen im kapitalistischen Kampf um Erfolg und Anerkennung für Frauen meist scheitern wird. Daran, dass Liberalismus, freier Markt und kapitalistisches Glücksversprechen, die scheinbar keine Geschlecht kennen, schlussendlich fast immer zum Nachteil von Frauen ausgehen.
Es ist dieser Widerspruch, der zusammen mit dem eigenen Körper abgespalten wird und verschwindet. Ist der eigene Körper zu einem Ding erklärt, mit dem man nichts zu tun hat, fühlt sich frau wieder zugelassen zum Club der Freien und Gleichen. Ja, man kann nun im nächsten Schritt diese materielle Körperlichkeit, von der man sich losgesagt hat, als Maske wieder annehmen. Es gab vor einer Weile einen Comic, in dem eine Frau sich die eigenen Brüste überklebt, sie verschwinden lässt, um anschließend falsche Plastikbrüste und -brustwarzen darauf zu setzen und sich wieder als Frau zu kleiden. (Auch wenn er vielleicht affirmativ gemeint war, drückt er zugleich die ganze Tragik der Sache aus.) Und „Playing the whore“ („Die Hure spielen“) heißt dann auch ein bekanntes Buch einer linken amerikanischen Pro-Sexarbeits-Aktivistin. Das, was vorher als körperliches und soziales Schicksal innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft erschien, wird in einem ersten Schritt ausgeblendet, in einem zweiten dann als „freie Wahl“ wieder angenommen – eigenes Handeln und gesellschaftliche Strukturen verschwinden als mögliche Gegenstände gesellschaftlicher Kritik.
Was diese Abtrennung der Körperlichkeit für die postmoderne Linke so anziehend macht, ist aber nicht allein die dadurch erkaufte Erlaubnis zum Mitmachen in dieser Gesellschaft, als Flucht vor der schlechten, allgegenwärtigen patriarchalen Realität. Zugleich ist diese Abspaltung des Körpers und diese Indifferenz gegen alles Natürliche höchst progressiv – im schlechten kapitalistischen Sinne. Denn mit der Entwertung des Körperlichen wird überhaupt eine gewaltige Bresche für den kapitalistischen Zugriff geschlagen, denn wenn menschliche Körper schlussendlich nur „Dinge“ sind, die von ihren eigenen Trägerinnen verkauft werden können – welche Grenzen will man dann noch anerkennen? Ebenso wie die Verteidigung von Frauenkörpern gegen den (körperlich und psychisch zerstörerischen) Verkauf als Ware erscheint dann jedes Einklagen von Grenzen gegen die kapitalistische Verwertung als „prüde“, „reaktionär“ und „katholisch“ – noch der Kampf um den Schutz der letzten Regenwälder oder Ozeane ließe sich auf diese Weise brav einer „Dekonstruktion“ unterziehen (und wird dies wahrscheinlich gerade in einem Dutzend Bachelorarbeiten an deutschen Universitäten). Die „Entleibung“ der Individuen, für die die Linke so vehement eintritt, soll als individuelle Rebellion erscheinen – tatsächlich aber ist sie das Gegenteil, denn sie vollstreckt nur die objektive Tendenz der kapitalistischen Gesellschaftsmaschine und treibt die Auslieferung der Individuen an diese voran.
Von der Verdrängung der Körperlichkeit zum Hass auf die realen Prostituierten – und Feministinnen
Aber – und das führt uns nun zurück zur Prostitution – diese Abspaltung geht natürlich nicht auf. Die postmoderne Ideologie mag sie noch so schlagend begründen und “beweisen”, eine materialistische Analyse darf darauf nicht hereinfallen:
„Aber dies ist natürlich eine Illusion, und wird dies immer bleiben. Man kann nicht Sex verkaufen ohne selbst ein lebendes menschliches Wesen aus Fleisch und Blut zu sein.“ (Ekman, ebd., S. 94)
Und es ist nun keineswegs zufällig, dass sich die Auseinandersetzung um die Körperlichkeit gerade im Deutungskampf um die Prostitution zuspitzen musste. Denn hier liegt scheinbar die ganze patriarchale Grundstruktur offen zutage: es sind hier Männer, die nach Frauenkörpern gieren, und diese Gier strahlt weit über die Prostitution hinaus auf die gesamte Gesellschaft. Es sind Frauen, die hier am eigenen Leib erfahren müssen, dass es nicht möglich ist, diesen von sich „abzutrennen“ und als „Ware“ über den Ladentisch zu reichen. In einem Wort: die Betrachtung der Prostitution droht, das ganze Konstrukt des „freien“, körper- und geschlechtslosen Individuums zum Einsturz zu bringen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass in der „Sexarbeits“-Debatte die schwerste Artillerie aufgefahren werden muss. Die Kette bricht an ihrem schwächsten Glied.
Eine Niederlage hier hätte weitreichende Folgen für das eigene Selbstverständnis, gerade der linken Frauen. Es würde sich zeigen, dass es nicht möglich ist, zwischen eigener Existenz als „freies und gleiches“ Markt- und Konkurrenzsubjekt und der eigenen Körperlichkeit und Geschlechtlichkeit zu differenzieren. Es würde sich zeigen, dass das eigene Mitmachen in dieser Gesellschaft nicht selbstbestimmt, sondern schlussendlich durch knallharte Strukturen geformt ist. Und dass diese Strukturen keine positiven sind, sondern schlussendlich das eigene Leiden als festen Bestandteil der Reproduktion dieser Gesellschaft festschreiben.
Diese Bedrohung, die von der Prostitution für das eigene Weltbild und die eigene Identität ausgeht, wird vor allem dadurch gebannt, dass die reale Prostitution, insbesondere vertreten durch Fallschilderungen und Aussagen ehemaliger Prostituierter, nicht vorkommen darf. Tatsächlich dient ein Gutteil des Geredes über die Prostitution dazu, eine nähere Beleuchtung der Sache zu verhindern: so genau will man es dann doch nicht wissen. Der beständige Verweis darauf, anstelle eigener Reflexion und Analyse die „SexarbeiterInnen“ sprechen zu lassen, ist höchst genehm: angesichts der vorausgesetzten Tabuisierung des Sexuellen sorgt schon die Anlage der öffentlichen Podiumsdiskussionen usw. dafür, dass Sexarbeiterinnen hier viel von ihren Rechten usw. sprechen werden, aber kaum von dem, was ihnen täglich widerfährt. Wer will schon vor versammeltem Hörsaal Details der eigenen Vergewaltigung, zu der man ja für 50€ zugestimmt hatte, auspacken? (Umso beachtenswerter, wenn Frauen sich dadurch nicht zum Schweigen bringen lassen, z.B. beim neu gegründeten Hilfsverein für den Ausstieg aus der Prostitution, SISTERS e.V. – siehe dazu z.B. junge Welt vom 2.10.2015)
Es sind genau die Prostituierten, die in der Debatte mundtot gemacht werden müssen, und wo das nicht durch Zuwortkommenlassen der mit Zuhältern und Bordellbetreibern gemeinsame Sache machenden „Hurenorganisationen“ geschehen kann, werden die entsprechenden Stimmen der Frauen einfach ignoriert, totgeschwiegen oder ihre Erlebnisse als Einzelfälle dargestellt (und die Leute dahinter als unzurechnungsfähig abgeschrieben). Hierbei drückt sich nicht nur eine Indifferenz, sondern auch ein latenter Hass auf diejenigen aus, die imstande sind, die eigene Lüge beim Namen zu nennen, den Schwindel aufzudecken, und die daher gefürchtet werden müssen. Der Hass, den die angeblichen FreundInnen der „Sexarbeiterinnen“ an den Feministinnen – und hier nochmal an einzelnen, die wie Alice Schwarzer dingfest gemacht werden können – austragen, gilt tatsächlich den Prostituierten. Beide müssen zum Schweigen gebracht werden, und es ist ebenfalls typisch, wie dies immer wieder erfolgt und wie hierzu jedes Mittel recht ist – vom Vorwurf des Rassismus, der Prüderie, von offen ageistischen (auf die Herabsetzung älterer Menschen zielenden) Attacken, bis hin zur blanken Beschimpfung ist hier wenig unversucht gelassen wurden. Dieser absolut überzogene, über den eigentlichen inhaltlichen Dissens hinausgehende Hass verweist zugleich darauf, dass es der Linken hier um etwas anderes geht – dass in dieser ganzen „Sexarbeitsdebatte“ ein wohlgehütetes Geheimnis, eine identitäre Besetzung verteidigt werden muss. Denn würde es sich zeigen, dass es in der Prostitution nicht möglich ist, Körper und Ich auseinanderzuhalten, wäre die eigene Verstrickung in dieser unfreien Gesellschaft aufgedeckt. Auf dem Spiel steht nicht weniger als das eigene Selbstverständnis als „freies“ Individuum, das sich schlussendlich auch von seinem eigenen Körper „befreit“ hat.
Die „Sexarbeiterin“ als Objekt der Faszination
Aber die Dynamik, die mit der Verdrängung der eigenen Körperlichkeit begann, sich symbolisch in der Umdeutung der Prostitution zur „Sexarbeit“ bestätigen und schlussendlich im Hass gegen den „Radikalfeminismus“ entladen musste, geht weiter. Schlussendlich – und hier betreten wir die Pfade der Freudschen Psychoanalyse – weiß die Linke intuitiv, dass sie ihre eigene Körperlichkeit nicht loswerden kann. Und so ist es gerade die Prostituierte, die ja die Spaltung zwischen Körper und Ich auf die Spitze treiben soll, bei welcher am Ende auch der Gedanke an diese Körperlichkeit lauert. Denn auch wenn die Linke nicht über das reden mag, was in der Prostitution passiert, so kennt sie doch all diese Geschichten. Und gerade wie die Körperlichkeit in die „Sexarbeit“ als Container eingesperrt wird, erhält diese eine unwiderstehliche Anziehung für die intellektuelle Beschäftigung. Sie wird von allen Seiten beguckt und betastet, Konferenzen werden über sie abgehalten, sie wird Gegenstand von Zeitschriftenartikeln und Doktorarbeiten – und doch darf nicht darüber geredet werden, was hier eigentlich passiert. In der Faszination für die „Sexarbeiterin“ wird die Linke von der eigenen Körperlichkeit wieder eingeholt. Nur selten bricht sich diese Faszination soweit Bahn, dass das Subjekt es wagt, sich ein stückweit den Sirenen der eigenen Wunschwelt hinzugeben:
„Und dann kommt mir der Gedanke: Wie viele Frauen haben denn die sexuelle Fantasie, dass sie mit mehreren Männern Sex haben, überall Schwänze und Hände an ihnen? Mandy [eine Prostituierte in einem Berliner Gangbang-Club] setzt sie um. „Und wenn mehrere Männer dich hintereinander vögeln, dann kriegst du mit ziemlicher Sicherheit irgendwann einen Orgasmus.“ […] Sucht, Rausch, Glück. Depressionen, wenn man es nicht mehr hat. Was ist das hier für eine Art von Sexualität? Und wer nimmt sich hier das Recht auf diese Sucht und diesen Rausch? Viele Männer und ein paar Frauen. Und ist Abolitionismus das richtige Mittel gegen diesen Rausch? Oder ist es kein Zufall, dass diese Freier hier wirken wie eine Selbsterfahrungsgruppe?“ (taz, 29.11.2014)
Aber dieses Nachgeben, das Aufsuchen des eigenen Verdrängten, bleibt doch Ausnahme. Die „Prüderie“ der Konservativen bezüglich der Prostitution speiste sich daraus, dass diese wissen, was dort passiert; die ebenso als Prüderie zu bezeichnende Ideologie der Linken speist sich dagegen daraus, dass diese nicht wissen wollen und sich selbst davor schützen müssen, was in der Prostitution passiert – und sie gerade deshalb immer wieder auf die Prostitution zurückkommen lässt. An dieser Stelle schließt sich der Kreis der psychischen Verarbeitung, die schlussendlich in einer eigenartigen Aufladung der Prostituierten mündet. In ihr soll sich die Körperlichkeit darstellen – sie soll diejenige sein, die die Gier von Männern nach Frauenkörpern befriedigt, damit der Rest der Gesellschaft damit scheinbar nichts zu tun haben soll. Dann aber soll ihre Körperlichkeit nur gespielt, nur Ware und Maske sein, als ob sie die Listige hier sei, die dem ganzen ein Schnippchen schlägt. Es sind die realen Prostituierten, die an diesem Widerspruch – sich selbst als Ware, als Maske verkaufen zu müssen, andererseits damit doch tatsächlich ein Stück von sich selbst zu verkaufen – zu leiden haben.
Was dagegen zu setzen ist
Wenn hinter der Prostitutionsbefürwortung die Verdrängung der eigenen Körperlichkeit, Geschlechtlichkeit und Sexualität steht, so ist dies auch Ausdruck des Leidens der Individuen, ihres Verzweifelns angesichts dieser Gesellschaft, die von ihnen fordert, sich als freie, gleiche und schlussendlich körperlose Individuen zu bewähren, zugleich sie, die Frauen, immer wieder auf ihre Körperlichkeit festnagelt. Scheiterst du an dieser „Entleibung“, so warst du zu schwach. Daher die Flucht durch Externalisierung der Körperlichkeit, so dass man im Nachhinein behaupten kann, diese als bloße Maske wieder anzunehmen. Die Folge ist aber nur, das lehrt die Psychoanalyse, dass das Verdrängte anderswo platziert wird, beständig drohend, wieder aufzubrechen.
Die Antwort kann nun nicht darin bestehen, den Druck auf die Individuen weiter zu erhöhen: du wirst deine Körperlichkeit nicht los, du musst sie verdrängen? Dann arbeite härter, bis sie ganz verschwindet! Nein, es gilt, die Körperlichkeit anzuerkennen, und dies impliziert auch die Anerkennung der tatsächlichen patriarchalen Machtverhältnisse. Nicht als (männlicher) Zynismus, d.h. nicht als Erlaubnis, nun jeden Scheiß (mit)zumachen; sondern als Erkenntnis und Kritik an diesen Verhältnissen – zugleich verbunden mit dem Eingeständnis, dass sie auch das eigene Leben, das eigene Ich, prägen.
Überhaupt musst sich eine kapitalistisch- und patriarchatskritische Theorie neu ausrichten, denn gerade in der Auseinandersetzung um die Prostitution zeigt sich eine bedeutende Leerstelle: indem die Gesellschaftskritik der letzten zwanzig Jahre sich oftmals allein auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und die Zumutungen konzentrierten, die die kapitalistische Gesellschaft, die staatliche Politik und die patriarchalen Strukturen an die Individuen stellen, blendete die Kritik gleichzeitig diese Individuen aus – und wurde dadurch kompatibel gerade mit dem Ideal des kapitalistischen Subjekts, welches alle traditionellen, aber auch körperlichen und sozialen Schranken als Grenzen seiner „Freiheit“ einzureißen strebt. Die Dialektik von Individuum und Gesellschaft zeigt sich gerade darin, dass diese Affirmation des rebellischen Subjekts schlussendlich in sein scheinbares Gegenteil, in das Vorantreiben der kapitalistischen Gesellschaftsmaschine, umschlägt. Der Psychoanalyse und der Untersuchung dieses Individuums sind ab sofort größerer Raum einzuräumen.
Wir möchten am Ende dieser Auseinandersetzung nochmal Kajsa Ekis Ekman zu Wort kommen lassen. Einem Interviewer von der jungle World, der einfach nicht verstehen wollte, was der Kampf gegen Prostitution mit einer tatsächlich emanzipatorischen Linken zu tun hätte, erklärte sie treffend:
„Wir müssen uns fragen, was unsere Träume sind, wenn es um Sexualität geht. Wenn das Beste und Radikalste, das wir anzubieten haben, eingezäunte Parkplätze mit „Verrichtungsboxen“ sind, dann sieht die Zukunft düster aus. Ich träume von der Befreiung der Sexualität vom Kommerz; von einer Sexualität, bei der alle Beteiligten Lust verspüren.“
Literatur
Kajsa Ekis Ekman (2013): Being and being bought. Prostitution and the split self. Original schwedisch 2010.
Die SISTERS danken der „Kritischen Perspektive“ für die Erlaubnis, den Artikel hier online stellen zu dürfen.