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Reaktionen zur Position des Deutschen Instituts für Menschenrechte

Der Bundestagsabgeordneten und SISTERS-Vorstandfrau Leni Breymaier ist es gelungen, gemeinsam mit anderen Politikerinnen und Politikern, eine interfraktionelle Arbeitsgruppe zur legalisierten Prostitution in Deutschland ins Leben zu rufen. Die Arbeitsgruppe hat im Sommer erfolgreich ihre Arbeit aufgenommen.
Genau das wird aber nun vom Deutschen Institut für Menschenrechte, das in anderen Fragen von Menschenrechtsverletzungen durchaus engagiert ist, nicht freudig begrüßt, sondern in einer Stellungnahme kritisch kommentiert.
Hier die Antwort von Leni Breymaier:

Sehr geehrte Frau Rabe,

nicht zuletzt als Berichterstatterin für Zwangsprostitution der Arbeitsgruppe Familie, Senioren, Frauen und Jugend der SPD-Bundestagsfraktion habe ich mit großem Interesse Ihre im Betreff genannte Stellungnahme gelesen. Sie kommt zu einem wichtigen Zeitpunkt einer Debatte um das sogenannte Nordische Modell in der Prostitution, die in diesem Sommer an Fahrt aufgenommen hat.

Wie Sie sicherlich wissen, befürworte ich diesen in Schweden, Norwegen, Irland und Frankreich geltenden Regelungsansatz von Prostitution, der Sexkauf verbietet, Freier bestraft und Prostituierte entkriminalisiert. Der aber vor allem Ausstiegshilfen anbietet sowie gesellschaftliche und schulische Aufklärung und Informationen über Sexualität beinhaltet. Letzteres halte ich für einen der wichtigsten Bestandteile. Denn mir geht es nicht um Moral, sondern um Menschenrechte. Ebenso wie Ihnen.

Sie kommen in Ihrer Stellungnahme zu dem Schluss, dass hinsichtlich der Prostitution ein „wie auch immer gestaltetes Verbot…Zeichen setzen [könne]. Es wird aber symbolisch bleiben und die Bedingungen, die Frauen vulnerabel machen für Ausbeutung und Gewalt in der Prostitution … nicht ändern.“ Erlauben Sie mir, dass ich diese Einschätzung nicht teile. Die Bedingungen, die Frauen vulnerabel für Ausbeutung und Gewalt in der Prostitution machen, sind sehr vielfältig. Zwar haben Sie einerseits Recht, dass mit der Einführung des Nordischen Modells nicht alle dieser Bedingungen geändert werden würden, doch ist u.a. die damit einhergehende gesellschaftliche Ächtung, wie sie in Schweden im Laufe von 20 Jahren die Perspektive der Menschen auf Prostitution verändert hat, nicht zu unterschätzen. Stattgefunden hat ein gesellschaftlicher und zivilisatorischer Mentalitätswandel, auf den ich viel Hoffnung setze. Eine vergleichbare Debatte in der Bundesrepublik etwa ist die um das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung. Ein Gesetz, das der Deutsche Bundestag erst am 8. Juli 2000 beschlossen hat. Sicherlich hat dieses Gesetz leider noch nicht bewirkt, dass Gewalt gegen Kinder nicht mehr stattfindet. Dennoch bin ich überzeugt, dass nichtsdestotrotz ein Mentalitätswechsel angestoßen und eine Bewusstwerdung der Gesellschaft bewirkt wurde.

Ich bemühe hier das oft wiederholte Argument, dass auch andere Straftaten wie Mord oder Diebstahl nicht gänzlich durch die beinahe weltweit herrschende verbietende Gesetzgebung aus der Welt zu schaffen sind. Dennoch gibt es hierzu einen global nicht infrage stehenden Konsens als Conditio Humana.

Nicht nur, aber vor allem als Politikerin ist für mich das Grundgesetz relevant, das in diesem 25. Jubiläumsjahr in Artikel 3, 2 die Gleichstellung als Staatsauftrag formuliert. In der Prostitution jedoch manifestiert sich unter anderem seit viel zu langer Zeit weltweit und quer durch alle Gesellschaften ein Macht- und Gewaltinstrument zur Unterdrückung, Erniedrigung und Vermarktung von (hauptsächlich) Frauen und Mädchen durch (maßgeblich) Männer.

Gerne mache ich Sie in diesem Zusammenhang auf folgende Studie aufmerksam: „Das Spannungsverhältnis zwischen Prostitutionsgesetz und Art. 3 Il Grundgesetz – eine rechtspolitische Untersuchung“ von Rahel Gugel (2010), Professorin für Recht in der Sozialen Arbeit an der DHBW Villingen-Schwenningen.

Diese Studie kommt einerseits zu dem Ergebnis, dass „…das ProstG im krassen Widerspruch zu der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 3 Il Satz 2 GG steht, mittelbar-faktische Diskriminierung durch aktive staatliche Maßnahmen zu beenden, indem das ProstG die geschlechtshierarchische diskriminierende Lebenswirklichkeit in der Prostitution im Ergebnis unangetastet lässt und dadurch in seinen tatsächlichen Auswirkungen die strukturelle geschlechtsspezifische und sexuelle Diskriminierung von Frauen in der Prostitution zementiert.“

Ein zweites Ergebnis der Studie ist, „…dass das ProstG von seiner Konzeption her kein geeignetes Antidiskriminierungsrecht für Prostituierte ist, das in der sozialen Lebenswirklichkeit gegen deren Diskriminierung greift. Denn das ProstG individualisiert das kollektive Phänomen der geschlechtsspezifischen strukturellen Diskriminierung von Prostituierten, indem es zwischen freiwillig und zwangsweise ausgeübter Prostitution unterscheidet. Durch diesen Ansatz geht das ProstG in abstrakter Weise von in ihren Entscheidungen freien und gleichen, also von keinerlei Diskriminierung betroffenen Individuen in der Gesellschaft aus, die ihre Entscheidung für den Eintritt in die Prostitution autonom und frei treffen. Vorliegende Studie konnte jedoch nachweisen, dass Prostitution Ausdruck geschlechtsspezifischer struktureller und sexueller Diskriminierung von Frauen ist, die Entscheidung von Frauen für die Prostitutionsausübung deshalb als zumindest hoch defizitär in ihrer Freiwilligkeit bewertet werden muss. Daher ist das ProstG seiner Konzeption nach und in seiner primären verfassungsrechtlichen Orientierung an der Menschenwürdegarantie aus Art. 11GG kein Antidiskriminierungsgesetz, das wirksam und erfolgreich gegen die geschlechtsspezifische strukturelle und sexuelle Diskriminierung von Frauen in der Prostitution wirkt. Dies wird auch von der Analyse der tatsächlichen unmittelbaren Auswirkungen des ProstG auf die Lebenswirklichkeit der Prostituierten bestätigt: Das ProstG hat danach keinerlei tatsächliche Verbesserungen der sozialen Situation von Prostituierten nach sich gezogen; die Regelungen des ProstG haben keine praktische Relevanz für Prostituierte. Vielmehr ist mit der Legalisierung von Prostitution und mit der Macht des freien Marktes sowohl ein steigender Wettbewerb als auch ein steigender Konkurrenzdruck im Prostitutionsgewerbe und insgesamt eine Entgrenzung hinsichtlich der Belastungen für Prostituierte zu verzeichnen. Folge davon ist, dass die sexuelle Selbstbestimmung der Prostituierten in der sozialen Realität von Prostitution im Ergebnis zunehmend eingeschränkt wird. Tatsächlich gestärkt jedoch sind durch das ProstG die gesamte Sexindustrie und die Freier. Sie profitieren von der Legalisierung und der Entkriminalisierung von Beschäftigungsverhältnissen in der Prostitution, indem sie nun legal konsumieren, investieren und hohe Profite erzielen. Die faktischen Auswirkungen des ProstG normalisieren damit nicht nur gesamtgesellschaftlich das sexistische und geschlechtshierarchische Frauenbild in Prostitution und Sexindustrie. Vielmehr stützen und zementieren sie auch allgemein eine diskriminierende geschlechtshierarchische Einstellung von Männern gegenüber Frauen in der Bundesrepublik: So feiern bestimmte Branchen nun Geschäftsabschlüsse regelmäßig in legalisierten Bordellen oder Bewerber für eine Stelle im gehobenen Management werden getestet, ob sie grundsätzlich damit umgehen können, dass auch im geschäftlichen Kontext Bordelle besucht werden. Diese Praxis ist für Frauen faktisch ein Ausschlusskriterium für Berufe in diesen Branchen und fördert damit gleichzeitig die strukturelle Diskriminierung aller Frauen im allgemeinen Erwerbsleben, wie es in der Segregation des Arbeitsmarktes und im Lohngefälle zum Ausdruck kommt. Vorliegende Studie konnte somit nachweisen, dass das ProstG dazu beiträgt, die allgemeine Geschlechterdifferenz und das hierarchische Geschlechterverständnis, das Frauen als Unterlegene und Männer als Überlegene definiert, in der gesamten Gesellschaft aufrecht zu erhalten.“

Sehr geehrte Frau Rabe, Sie schreiben im Fazit Ihrer Stellungnahme, dass die von Ihnen zitierten Studien der Entscheidung Recht geben, auf ein Verbot zu verzichten und dass zumindest mit der Diskussion um einen Richtungswechsel bis zur Evaluation gewartet werden möge. Die beginnt, wie Sie schreiben, im Sommer 2022, vorliegen wird der Evaluierungsbericht aber erst 2025. Das ist in sechs Jahren. Seit mehr als 17 Jahren wirkt nun in Deutschland die liberalisierte Gesetzgebung zur Prostitution. Nach meiner festen Überzeugung ist es für die Debatte höchste Zeit.

Über einen weiteren Austausch freue ich mich und stehe gerne für ein Gespräch zur Verfügung.

Ich behalte mir vor, dieses Schreibens öffentlich zu machen.

Mit freundlichem Gruß

Leni Breymaier

Stellungnahme DIMR

Originalschreiben von Leni Breymaier

Und wer jetzt über die Haltung des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMR) zu Prostitution verwundert ist, der und die kann sich dazu hier noch weiter informieren:
http://abolition2014.blogspot.com/2016/08/gewalt-im-bordell-europas-ein.html?m=1

 

Aktualisierung 29.11.2019:

Sistersaktivistin Prof. Dr. Monika Barz hat heute auf die positive Haltung von Pinkstinks zum DIMR reagiert: 

Liebe Pinkstinks,

seit Jahren begleite ich mit großem Interesse eure Arbeit und empfehle euch häufig in meinem Umfeld.

Heute bin ich empört:  Wie könnt ihr leichtfertig auf Facebook die PM des DIMR zu Prostitution und Sexkaufverbot so unkritisch kommentieren?

Ich habe euch fundierte Analysen und Positionierungen zugetraut! (wir hatten ja schon einmal Kontakt im Zusammenhang mit Prostitution)

Das DIMR listet Für und Wider auf. Bezieht sich teils auf wissenschaftlich höchst umstrittene Forschungen der Sexlobby und lässt gleichzeitig Menschenrechtsaussagen des Europaparlaments völlig unbenannt, das die Mitgliedstaaten seit 2014 auffordert, sich auf die Sexkauf-Nachfrage zu fokussieren und am Nordischen Modell zu orientieren. Im Fazit des DIMR steht , dass vorerst in Deutschland alles so bleiben soll wie es ist. Das entspricht genau der Position der Regierung und Geldgeberin. Sie will die Verhältnisse noch mindestens weitere sechs Jahre bis 2025 so laufen lassen. Findet ihr das wirklich angemessen?

Habt ihr gelesen warum das DIMR zu diesem Fazit kommt?

Wenn sich Pinkstinks die Haltung des DIMR wirklich zu Herzen nimmt, dann solltet ihr eure die Forderungen nach einem Verbot sexistischer Werbung fallen lassen, denn:

„… ein wie auch immer gestaltetes Verbot kann zwar das Zeichen setzen, dass eine Gesellschaft dies missbilligt. Es wird aber symbolisch bleiben und die Bedingungen, die Frauen vulnerabel machen für Ausbeutung und Gewalt in der Prostitution (Diskriminierung, Armut, Krankheit, Abhängigkeiten, Drogengebrauch etc.), nicht ändern.“

So das Fazit von DIMR zum Sexkaufverbot.

Das DIMR hat echt ein ungewöhnliches Staatsverständnis über den Gestaltungsauftrages des Parlaments als Legislative.

Also, verändert erst mal die Armut und Abhängigkeiten von Frauen, dann könnt ihr Forderungen nach Verboten stellen. Also mehr Bescheidenheit bitte! Verbote sexistischer Werbung können zwar Zeichen setzen, werden aber symbolisch bleiben…. Gemäß dieser Haltung des DIMR sind streng genommen von Frauen mühsam erkämpften Verbote von Vergewaltigung in der Ehe, Gewalt gegen Frauen, ja selbst das AGG und Artikel  3 des Grundgesetzes eigentlich Quatsch, denn, sie ändern ja nichts an der Diskriminierung, Armut, Krankheit und Abhängigkeiten von Frauen!

Ich hoffe ihr bleibt zukünftig bei eurem analytischen und mutigeren Geist. Das DIMR scheint diesen schon aufgegeben zu haben.

Wenn ihr euch zu Prostitution und Sexkauf äußern wollt, ist ein fundierter Fachaustausch mit Expertinnen von Terre des Femmes sicher hilfreich.

Mit feministischen Grüßen

Monika

Prof. Dr. Monika Barz

Frauen- und Geschlechterforschung, Praxis- und Politikberatung

Aktualisierung 30.11.2019:

Die renommierte Hilfsorganisation SOLWODI war so schockiert, dass sie das Institut für Menschenrechte verlassen hat.

Die Pressemitteilung finden Sie hier.