Am Samstag, 18. November läuft um 22:00 Uhr auf ZDFinfo eine Doku über das „Bordell Deutschland“. Für seine Dokumentation sprach Autor Christian P. Stracke unter anderem auch mit Sandra Norak (Foto © Jan Sindel/ZDF) von Sisters e.V., die den Ausstieg aus der Prostitution geschafft hat.
„Komm so oft du willst“, „All you can fuck“ oder „20 Minuten Sex für 20 Euro – der Spartarif im Discountpuff“: In vielen deutschen Städten werben Bordelle so für ihre Flatrate-Angebote. Das Geschäft boomt, mit teilweise bizarren Auswüchsen. Von Flatrate-, über Edel- bis hin zu sogenannten Gangbang-Bordellen, in denen eine Prostituierte mit mehreren Männern gleichzeitig Sex hat – nichts scheint unmöglich.
Jenseits der verklärten Welt von Hollywood, wie sie dem Zuschauer in Filmen wie „Pretty Woman“ präsentiert wird, versteckt sich im Verborgenen eine kriminelle Parallelwelt. Sandra hat jahrelang als Prostituierte gearbeitet und bestätigt die in der Szene vorherrschende Gewalt: „In jedem Club, in dem ich war, habe ich Menschenhandel gesehen. Ich habe natürlich auch Frauen gesehen, die geschlagen werden. Und ich habe auch Freier gesehen, die das gesehen haben und dann trotzdem die Dienstleistung in Anspruch genommen haben.“
Kein Einzelfall, wie Denisa, eine junge Rumänin bestätigt: „90 Prozent haben Zuhälter.“ Jahrelang hat sie in Deutschland als Zwangsprostituierte gearbeitet. Die Expertin und Traumatherapeutin Ingeborg Kraus vergleicht die Erfahrungen von Prostituierten mit denen von Soldaten oder Folteropfern, 60 Prozent der Frauen leiden unter einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Anlässlich der Einführung des Prostitutionsschutzgesetzes im Juli 2017 hat sich der Autor Christian P. Stracke von der Produktionsfirma medi cine dem Thema „Prostitution in Deutschland“ gewidmet und mit Polizisten, Sozialarbeitern, Vertretern des Prostituiertenverbandes, Politikern und Psychologen gesprochen. Er ist quer durch Deutschland gereist, hat sich vor Ort vom Edelbordell bis zum Straßenstrich ein eigenes Bild von den unterschiedlichsten Ausprägungen der Prostitution gemacht. Seine Recherchen haben ihn darüber hinaus auch nach Schweden geführt, wo er sich das vielgepriesene „nordische Modell“ angeschaut hat, mit dem Schweden die Prostitution wirksam eingedämmt hat. Und in Rumänien war er den Ursachen der Armutsprostitution auf der Spur.
Die Realisation des Themas Prostitution und Menschenhandel verlangt ein Höchstmaß an Sensibilität im Umgang mit den Protagonisten. So ist es Christian P. Stracke schließlich auch gelungen, die Aussteigerin Sandra Norak davon zu überzeugen, erstmals vor einer Fernsehkamera über ihr Leben als Prostituierte zu sprechen. Die heute 27-Jährige geht mit ihrer Geschichte jetzt ganz bewusst an die Öffentlichkeit, möchte mit dem Mythos der Freiwilligkeit aufräumen. Sie studiert Jura und setzt sich für die Abschaffung der Prostitution ein.
Dass diese vertrauensvolle Atmosphäre bei den Dreharbeiten erzeugt werden konnte, ist auch das Verdienst des Kameramanns Jan Sindel. Ausdrücklich lobt Stracke dessen große Empathie und das richtige Gespür für die Situation. Auch Cutterin Anke Schönebeck hat wesentlich zum Gelingen des Films beigetragen. Ihre ordnende Hand half dem Autor, aus der Fülle des Materials die stärksten O-Töne und Szenen herauszuarbeiten. Ursprünglich auf klassische 45 Minuten angelegt, war spätestens nach Abschluss der Dreharbeiten klar, dass das Material auch 90 Minuten trägt. Eine entsprechende Anpassung war schnell und unkompliziert möglich, ein Vorteil, den vermutlich nur ZDFinfo bieten kann. Denn im Digitalkanal gibt es keine genormten Sendeformate, die Längen oder Erzählformen limitieren. Bei der Umsetzung galt es einerseits den Ansprüchen der Authentizität zu genügen, ohne sich dabei dem Verdacht des Voyeurismus auszusetzen, und anderseits die Regeln des Journalismus einzuhalten.
Um die Schattenwelt der Prostitution zu verstehen, war es Redaktion und Autor wichtig, neben den Prostituierten auch die anderen Protagonisten zu Wort kommen zu lassen, die das kriminelle System maßgeblich bestimmen: Zum Beispiel Bordellbesitzer Jürgen Rudloff – er gilt als Deutschlands Sexclub-König. Oder Andreas Marquardt – ohne Menschen wie ihn würde das System Prostitution gar nicht existieren. Marquardt war Zuhälter, saß jahrelang wegen Menschenhandel im Gefängnis – und er packt vor der Kamera aus. Rund 100 Frauen haben für ihn angeschafft, für ihn waren sie nur eine Ware.
Auch mit Experten und Sachverständigen hat der Filmemacher intensive Gespräche zum Thema geführt. Der ehemalige Leiter des Dezernats „Sexuelle Gewalt und Rotlichtkriminalität“ in Ulm, Manfred Paulus, beobachtet die Szene seit Jahrzehnten und warnt: „Deutschland ist zur Drehscheibe für Zwangsprostitution geworden. Das Rotlicht wird von organisierter Kriminalität beherrscht, Frauen systematisch ausbeutet.“ Die Psychologin Ingeborg Kraus warnt: „Frauen werden in der Prostitution schwer traumatisiert und gesundheitlich geschädigt, oft lebenslang, auch wenn sie vermeintlich freiwillig arbeiten.“
Niemand weiß genau, wie viele Prostituierte in Deutschland arbeiten, die Zahlen schwanken zwischen 400.000 und 1 Million. Nach Schätzungen des statistischen Bundesamtes nehmen in Deutschland täglich rund 1,2 Millionen Männer sexuelle Dienstleistungen in Anspruch.
Während der Recherche und Filmaufnahmen hat Autor Christian P. Stracke mit vielen Freiern gesprochen. Sein Eindruck: Unrechtsbewusstsein ist auf Seiten der Männer wenig bis gar nicht vorhanden. Alle Freier behaupteten Menschenhandel abzulehnen und ihn sofort zu erkennen. Dem Mythos der Freiwilligkeit widerspricht die ehemalige Zwangsprostituierte Denisa entschieden. Zu dieser Einschätzung gelangen auch Experten der Polizei. Ihren Angaben zu Folge werden neun von zehn Frauen zur Prostitution gezwungen.
Bordell-König Jürgen Rudloff streitet im ZDFinfo-Interview eine Beteiligung am Menschenhandel vehement ab. Doch nur wenige Wochen nach den Dreharbeiten wird Rudloff verhaftet und sitzt seit Ende September in Untersuchungshaft – der Vorwurf der Staatsanwaltschaft lautet: Beihilfe zu schwerem Menschenhandel, Zuhälterei, sowie versuchte gewerbs- und bandenmäßige Förderung des Menschenhandels.
Dass Menschenhandel in Deutschland existiert, bestätigt auch das Bundeskriminalamt: 2015 wurden 416 Opfer des Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung ermittelt. Die Dunkelziffer, so die Einschätzung der Experten, sei um ein Vielfaches höher. Ebenfalls erschreckend: Die Zahl der minderjährigen Opfer ist 2015 im Vergleich zum Vorjahr um rund 40 Prozent gestiegen – damit war fast jedes fünfte Opfer unter 18 Jahren.
Mit der Prostitution lässt sich viel Geld verdienen. Laut Bundeskriminalamt bringt allein eine Prostituierte ihrem Zuhälter bis zu 100.000 Euro pro Jahr. Wenn Menschenhandel im Spiel ist, wird das Geschäft für die Täter noch lukrativer – der jährliche Ertrag innerhalb der EU wird auf 25 Milliarden Euro geschätzt.
Aber auch der Staat verdient durch die Steuereinnahmen kräftig mit. Genaue Zahlen sind auch hier schwer zu bekommen. Aber für Berlin sollen die Steuereinnahmen durch Prostituierte geschätzt rund 14 Millionen Euro pro Jahr betragen – hinzu kommen noch die der Bordellbetreiber.
Anfangs war Autor Christian P. Stracke der Meinung, dass freiwillige Prostitution erlaubt sein sollte – mittlerweile ist er zu der Überzeugung gelangt, dass auch freiwillige Prostitution die Menschenrechte verletze. Deshalb müsse sich dringend etwas ändern. Für ihn ein Vorbild: Das nordische Modell in Schweden, das mit dem Sexkaufverbot den Freier bestraft. Das wäre seiner Ansicht nach ein erster Schritt in die richtige Richtung.
Der Film zeigt die dramatischen Zustände, unter denen die meisten der Prostituierten arbeiten und leben müssen und deckt auf, dass das älteste Gewerbe der Welt in Deutschland zu einem kriminellen Gewerbe geworden ist.
Redaktion: Natalie Zinkand