
Mein Einstieg in die Prostitution besiegelte ich mit einem Mausklick. Es fühlte sich an, als würde man sich auf einem Dating-Portal anmelden, nur eben mit Preisliste. Ich hatte das Gefühl, selbst darüber entscheiden zu können, wieviel ich von mir preisgebe oder was ich anbieten möchte. Den Aspekt, dass ich hochverschuldet war und meinen Körper für Geld anbot, um den Kühlschrank zu füllen, wurde durch Umschreibungen wie Taschengeld und Arbeitszeiten verschleiert. Diese Online-Plattformen verkaufen Illusionen. Nicht nur an Freier, sondern auch an Frauen wie mich. Ich wollte glauben, dass ich hier die Kontrolle habe, dass ich selbstbestimmt handle. Schließlich nennen sie es ja nicht Prostitution. Es ist Paysex. Oder noch eleganter: Sexarbeit. Ich sollte eine Escort sein, eine Hobbyhure, die freiwillig das macht, was andere aus Zwang tun. Das Honorar heißt Taschengeld, das Treffen ist ein Arrangement. Es klingt harmlos. Fast liebevoll. Und genau das ist das Problem. Diese Begriffe sind wie Weichzeichner für die Realität: Ich verkaufte meinen Körper! Ich musste mich anbieten, um zu überleben. Dass ich mich nicht viel unterscheide von denen, die mich buchten, weil wir alle in einem Spiel stecken, das auf Täuschung basiert. Und auf dem Bedürfnis, die Wahrheit nicht sehen zu müssen.
Mein Start in der Prostitution begann mit einem Koffer voller Altlasten, gefüllt mit diversen Missbrauchserfahrungen, negativen Glaubenssätzen und die Superkraft einzufrieren, sobald ein Mann übergriffig wurde. Diese Superkraft – die in Wirklichkeit keine besondere Gabe war – war eine klassische Folge von Traumatisierung.
Bisher hatte ich mehr in unentgeltliche Sextreffen investiert, als das sie mir wirklich etwas gebracht hätten: Babysitter, Dessous, stundenlange Kosmetikbehandlungen, um auf der Rückbank eines Autos für wenige Minuten benutzt zu werden. Ein Mann – ich lernte ihn über eine Dating-Plattform kennen – schlug und vergewaltigte mich in meiner eigenen Wohnung. „Wie schlimm könnte es also noch werden?“ Er ebnete den Weg in meine ganz persönliche Hölle: der Prostitution.
Anfangs befand ich mich in einem Rauschzustand. Männer, teils sogar attraktive, zahlten mir Geld für Sex, der sich nicht schlechter anfühlte als der, den ich sonst erdulden musste.
Meine ersten Taschengeldbeträge landeten nicht auf meinem überzogenen Bankkonto. Ich kaufte teure Kosmetik, Parfüms, Dessous. Je dreckiger mein Treffen, desto hochwertiger die Ausgaben.
In der Anfangszeit fühlte ich mich begehrenswert, wertgeschätzt, gerissen, ja, sogar erhaben über den Dingen. Ich kann diesen Zustand nur als Rausch beschreiben, der mich geradewegs immer tiefer in den Paysex-Sumpf zog.
Es war ein Irrglaube, zu glauben, ich hätte alles unter Kontrolle. Kein Zuhälter, kein Menschenhändler saß mir im Nacken, und doch hält mich bis heute eine unsichtbare Kette in der Prostitution fest.
An dieser Stelle möchte ich nochmals meine Trauma-Folgestörung aufgreifen. Sie ist ein zentrales Puzzlestück, um zu verstehen, weshalb ich mich ausbeuten und missbrauchen ließ. Mein gestörtes Selbstbild, flüsterte mir ein, dass ich es nicht anders verdient habe. Negative-Glaubenssätze, die wie Mantras in Endlosschleife durchs Bewusstsein spuken.
Wie bereits oben erwähnt, trieben mich Schulden und Geldnot in die Prostitution. Meine Freundin erwähnte ganz beiläufig bei einem Telefonat, wieviel Spaß sie doch als „Hobbyhure“ hätte und dabei noch gutes Geld verdiene. Zunächst war ich erschüttert. Für mich waren prostituierte Frauen von einem anderen Stern: geschminkte, verbrauchte Püppchen, denen man ihr Gewerbe schon aus hundert Meter Entfernung ansah. Doch meine Freundin war eine seriöse Geschäftsfrau. Wenn sie es in Ordnung fand, dann konnte es ja nicht so schlimm sein, dachte ich damals.
Was ist schon dabei, Geld für Sex zu nehmen?
Ich wog ab. Konnte es überhaupt noch schlimmer werden? Ein wenig schreckte mich der Gedanke ab, Männer könnten noch brutaler werden, wenn Geld im Spiel ist. Wenn schon manche Männer meinen, das vermeintliche Recht auf den Körper einer Frau allein aus dem Konsens der vermuteten Lust ableiten, wie würde es erst sein, wenn sie dafür bezahlten? Doch am Ende verführte mich das Geld. Kaum hatte ich mich entschieden, inserierte ich auf einer der zahlreichen Paysex-Seiten
Die Registrierung war einfach. Ich lud ein paar Bilder hoch, dachte mir einen Benutzernamen aus und wählte zwischen verschiedenen Sexpraktiken/Leistungen aus. Kurz nach der Profilfreigabe trudelten die ersten Anfragen ein. Ich rief aufgeregt meine Freundin an:
„Was soll ich denn jetzt tun? Zahlen die wirklich für ein Treffen?“
„Natürlich tun sie das. Du hast doch deine Preisvorstellung angegeben?“
Ja, das hatte ich. Ich konnte mir nur nicht vorstellen, dass jemand für eine Stunde Sex bereit war, so viel Geld auszugeben.
„Hat der Typ Bewertungen in seinem Profil stehen?“
Ja, gleich sieben Stück. Escort und Kunde konnten sich gegenseitig bewerten.
Auf der einen Seite – so dachte ich anfangs – ein guter Schutz, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Im Nachhinein: Bewertungen konnten gefälscht sein oder schlichtweg nicht der Wahrheit entsprechen. Ein Überprüfungsmerkmal, dem man nicht zu 100 % vertrauen durfte.
„Was soll ich denn jetzt tun? Zahlen die wirklich für ein Treffen?“
„Natürlich tun sie das. Du hast doch deine Preisvorstellung angegeben?“
Ja, das hatte ich. Ich konnte mir nur nicht vorstellen, dass jemand für eine Stunde Sex bereit war, so viel Geld auszugeben.
„Hat der Typ Bewertungen in seinem Profil stehen?“
Ja, gleich sieben Stück. Escort und Kunde konnten sich gegenseitig bewerten.
Auf der einen Seite – so dachte ich anfangs – ein guter Schutz, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Im Nachhinein: Bewertungen konnten gefälscht sein oder schlichtweg nicht der Wahrheit entsprechen. Ein Überprüfungsmerkmal, dem man nicht zu 100 % vertrauen durfte.
Mein erster Freier besuchte mich noch am selben Abend in meiner Wohnung. Bei einem gemeinsamen Gespräch in meiner Küche zog er über Frauen her, die sich aus Geldnot anboten. Solche Damen würde er niemals daten wollen. Diese Aussage sollte ich noch öfter zu hören bekommen.
Freier wie er wollten nicht wie Freier behandelt werden. In ihrer Traumwelt sind Frauen auf Paysex-Plattformen gelangweilte Hobbyhuren, allerhöchstens auf der Suche nach ein bisschen Haushaltsgeld für Schuhe und Schmuck. Er war mit seiner Einstellung keine Ausnahme.
Diese Illusion aufrechtzuerhalten bedeutete, sich selbst zu verraten, und für ein paar Scheinchen die große Lust vorzugaukeln. Egal, wie gut oder schlecht es in Wirklichkeit war.
Diese Illusion aufrechtzuerhalten bedeutete, sich selbst zu verraten, und für ein paar Scheinchen die große Lust vorzugaukeln. Egal, wie gut oder schlecht es in Wirklichkeit war.
Wenn ich auf ein Date gehe, das über einer monetären-Plattform zustande kam, passiert es immer wieder, dass der Mann mir gleich zu Beginn aufs Brot schmierte, *dass* er ja für mich bezahlt. Als müsste ich ihm dafür jetzt doppelt dankbar sein, dafür, dass ich meine Zeit, meinen Körper und meine Energie investiere, und dafür, dass ich dabei auch noch freundlich lächeln soll. Ich weiß, dass ich in dem Moment eine Illusion aufrechterhalten soll. Die der begeisterten Begleiterin, die das alles gerne macht, freiwillig, aus purer Lust am Spiel. Aber ehrlich? Es frustriert mich. Es frustriert mich, weil ich spüre, wie wenig meine Arbeit in solchen Momenten geachtet wird. Wie sehr sie verharmlost oder herabgesetzt wird. Und trotzdem muss ich diesen Mann umgarnen. Weil das Spiel es so verlangt. Weil ich sonst nicht sicher bin, vor Ablehnung, vor schlechten Bewertungen oder vor Übergriffen. Ich muss also oft *ihn* aufbauen, während er mir gerade zeigt, dass er mich nicht ernst nimmt.
Ganz am Anfang, als ich mich auf einer dieser Plattformen angemeldet hatte, wurde ich regelrecht mit Anfragen überschüttet. Viele Männer suchen gezielt nach neuen, unerfahrenen Frauen, als wäre das ein besonderes Qualitätsmerkmal. In Wahrheit ist es oft nur eine Einladung für Grenzüberschreitungen. Einer dieser Männer wollte unbedingt vorab mit mir telefonieren. Das Gespräch ging schnell ins Private. Seine Frau sei angeblich mit eingeweiht, irgendwann wolle er sie dazuholen, aber erstmal wolle er alleine zu mir kommen. Gebucht hatte er eine Stunde für Oralverkehr. In dieser Stunde hat er mich schwer benutzt. Ich habe mich dabei unwohl, überfordert und schlicht ausgeliefert gefühlt. Am Ende erhielt ich nur die Hälfte des vereinbarten Geldes. Er war sichtlich beleidigt darüber, wie ich denn noch mehr verlangen wolle, obwohl er mich „doch nach allen Regeln der Kunst verwöhnt“ hätte. Mich schockierte seine Annahme, ich wäre durch seine brutale orale Penetrierung verwöhnt worden. Ich war machtlos.
Ohne Anmeldung hast du keinerlei Rechte. Im Gegenteil: Du bist plötzlich selbst die Kriminelle. Und das wissen viele. Sie nutzen es aus. Versuchen, die Zeit zu überziehen. Wollen Dinge erzwingen, die du nie angeboten hast. Ich habe am Anfang viel zu oft Ja gesagt, wo ich innerlich laut Nein geschrien habe. Wenn ich heute daran zurückdenke, frage ich mich, wie ich so leichtsinnig sein konnte – für ein paar Euro – jedes Mal aufs Neue meine körperliche und seelische Unversehrtheit aufs Spiel zu setzen.
Trotz all dieser negativen Erlebnisse hat mich das zu Beginn gar nicht aus der Bahn geworfen. Ich hatte mir einfach eingeredet, dass der Sex ja auch irgendwie gut ist. Ich habe mich auf das Geld konzentriert, das ich dringend brauchte. Zum Überleben. Zum Miete zahlen. für ein bisschen Luxus. Und manche Männer wirkten ja auch nett. Einige wollten mich sogar ganz für sich. Haben gesagt, ich soll aufhören mit dem Job, sie würden mich gern „nur für sich“ haben. Das gibt einem natürlich das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Aber ausnahmslos alle Männer, mit denen ich solche Erlebnisse hatte, haben mich früher oder später einfach fallengelassen. Ohne Vorwarnung, ohne Erklärung. Haben sich nicht mehr gemeldet, sich eine neue gesucht, um dort das Spiel von vorn zu beginnen. Besitzansprüche stellen konnten sie alle, aber selbst wollten sie frei sein. Absolute Treue einfordern, aber selbst keinerlei Verantwortung übernehmen.
Das Ganze wird noch perfider, wenn man bedenkt, dass man oft schon im Voraus Geld einplant, das man noch gar nicht hat. Weil man es braucht, um über den Monat zu kommen. Aber der Körper, vor allem die Psyche machen da nicht immer mit. Ich habe mir schon in den ersten Monaten mehrere Geschlechtskrankheiten zugezogen. Und das, obwohl ich konsequent auf Kondome bestanden habe. Der einzige Bereich, in dem sich viele Männer kaum bis gar nicht auf Schutz einlassen, ist der Oralverkehr. Genau der Bereich, in dem die meisten Krankheiten übertragen werden. Je älter, je verbrauchter du wirst, desto weniger Rechte hast du in den Augen dieser Männer. Natürlich kannst du nein sagen. Natürlich kannst du das Geld ablehnen. Aber kannst du es dir leisten? Wenn du nicht gerade unter Zwang arbeitest, wird von außen angenommen, du seist ja freiwillig da, dabei wirst du ständig unter Druck gesetzt, bedrängt, genötigt. Viele haben versucht, ohne Kondom mit mir zu schlafen. Manche haben es einfach versucht, während des Treffens. Andere haben mich an Stellen penetriert, die vorher nicht abgesprochen waren. Meine Grenzen wurden regelmäßig übergangen. Und ich hatte kaum eine Möglichkeit, sie durchzusetzen. Denn am Ende hatte ich keine Ansprüche. Ich war rechtlich nichts. Und genau das wussten sie.
Entgegen vielen Behauptungen geht es Freiern in der Regel nicht um Geschlechtsverkehr auf Augenhöhe. Auch wenn einige, wie bereits beschrieben, betonen, wie wichtig ihnen mein Wohlergehen sei oder dass ich „auf meine Kosten komme“, bleibt das meist eine leere Floskel. Die Realität ist, dass es in der Prostitution keine tatsächliche Gleichwertigkeit gibt.
Ein grundlegendes strukturelles Ungleichgewicht zeigt sich bereits in den gesetzlichen Rahmenbedingungen: In Deutschland müssen Prostituierte sich registrieren, regelmäßig Gesundheitsberatungen besuchen und ihre Tätigkeit offiziell anmelden. Freier hingegen bleiben vollkommen anonym. Sie müssen sich nicht registrieren, weder behördlich noch auf einschlägigen Plattformen. Die Profile und Identitäten auf solchen Seiten gehören fast ausschließlich den Frauen. Männer hingegen können sich beliebig viele Konten erstellen und bleiben oft auch dann unbehelligt, wenn sie mehrfach durch gefährliche Anfragen oder grenzüberschreitendes Verhalten auffallen. Selbst wenn man einen Nutzer meldet, der gewaltverherrlichende oder gesundheitsgefährdende Praktiken fordert, kann dieser sich einfach mit neuem Namen wieder anmelden. Konsequenzen gibt es so gut wie keine.
Viele Freier sind sich offenbar auch nicht der gesundheitlichen Risiken bewusst, oder sie ignorieren sie einfach. Ungeschützte Praktiken, insbesondere Oralverkehr ohne Kondom, werden häufig eingefordert. Und wenn sie sich dabei nicht selbst infizieren, tragen sie die Erreger nach Hause zu ihren Partnerinnen oder Ehefrauen. Denn der Großteil der Freier lebt in festen Beziehungen. Und dennoch wird die Schuld fast immer den Prostituierten zugeschrieben. Sie gelten als dreckig, als potenzielle Krankheitsüberträgerinnen. Die Doppelmoral ist offensichtlich: Männer suchen sich gezielt Frauen aus, von denen sie glauben, sie seien „sauber“. Sie vermeiden Frauen, die offen viele Freier bedienen. Gleichzeitig wünschen sie sich genau die, die vermeintlich alles mitmachen, keine Tabus kennen, sich hingeben, funktionieren.
Das Idealbild ist widersprüchlich und unerreichbar: Sie wollen eine Frau, die ihnen alles gibt und gleichzeitig niemandem sonst. Eine Frau, die ihnen sexuell völlig zur Verfügung steht, aber rein und exklusiv bleibt. Dieser Widerspruch durchzieht das ganze System. Und er lastet allein auf den Schultern der Frauen.
Selbst wenn ich es geschafft habe, mich auf ein privates, unverbindliches Treffen einzulassen, eines dieser raren Male, bei denen es eigentlich um etwas anderes gehen sollte als um Geld, war da immer dieser Gedanke im Hinterkopf: Dafür hättest du jetzt auch arbeiten können. Ich habe mich oft regelrecht geärgert, wenn ein Abend nicht nach meinen Vorstellungen verlief. Dann begann im Kopf sofort das Rechnen. Was mir da gerade entgangen ist. Wie viel ich in dieser Zeit hätte verdienen können. Ich habe angefangen, alles mit Geld aufzuwiegen – jedes Treffen, jede Einladung, jedes Date. Selbst wenn Freundinnen mir von ihren Begegnungen erzählten, lief in meinem Kopf automatisch ein Taschenrechner mit. Was andere als Nähe oder Romantik erleben, rechne ich in potenziellem Verdienst um. Und ich hasse das. Aber es ist tief in mir verankert. Und ich bin sicher, dass es vielen Frauen, die in einer ähnlichen Situation sind wie ich, genauso geht.
Dabei war ich nie eine von denen, die auf der Straße anschaffen mussten. Ich hatte keinen Zuhälter, der mich geprügelt oder gedrängt hat, noch habe ich in einem Bordell mit „Happy Hour“-Angeboten gearbeitet. Ich habe Glück gehabt – wenn man das überhaupt so nennen kann. Und trotzdem hat es mich kaputt gemacht. Was muss das erst für Frauen bedeuten, die ganz andere Höllen erlebt haben? Die gibt es. Und sie werden kaum gehört.
Deutschland verdient an der Prostitution. Der Staat profitiert. Und das auf Kosten unserer Körper, auf Kosten unserer Seelen. Die Mehrheit der Gesellschaft schaut weg. Oder sie schaut nur dann hin, wenn man mit einer Betroffenheitsmine kurz „Oh je“ sagt, bevor man gleich zur nächsten Meinung übergeht. Wenn ich mich geöffnet habe, kam oft eher Neugier als Mitgefühl. Oder Sätze wie: „Du musst das doch nicht machen.“ – „Ich kenne eine, die macht das gerne.“ Oder „Dann hör doch auf.“
Und das trifft einen wie eine Ohrfeige. Denn ich habe meine Gründe. Ich habe lange abgewogen. Ich habe mich entschieden. Nicht, weil ich es wollte, sondern, weil es für mich keine andere Option gab, ohne noch weiter unterzugehen.
Wenn man mir dann das Recht abspricht, mich zu belasten, traurig zu sein oder zu kämpfen, weil ich es ja selbst gewählt habe, dann tut man genau das, was diese Männer auch tun: Man übergeht das, was wirklich passiert. Man macht die Frau zur Schuldigen. Und lässt den eigentlichen Täter einfach weitermachen.
Wenn man über Prostitution in Deutschland spricht, wird oft so getan, als gäbe es da eine klare Trennung zwischen jenen, die das aus freien Stücken und mit Leidenschaft tun und jenen, die „halt Pech hatten“. Aber die Realität sieht anders aus. Die allermeisten Frauen tun das nicht, weil sie „Lust daran haben“, sondern weil sie kaum Alternativen sehen. Es ist ein Überlebensmodell, keine freie Berufswahl. Und obwohl hunderttausende Frauen in Deutschland in der Prostitution tätig sind, ist nur ein vergleichsweise kleiner Teil überhaupt offiziell registriert. Die meisten arbeiten ohne Absicherung, ohne Schutz, ohne Rechte, weil sie sich eine Anmeldung aus Angst, Scham oder praktischen Gründen gar nicht leisten können.
Auch was die Vorstellung von „freiwilliger Sexarbeit“ betrifft, hält sich ein hartnäckiger Mythos. Natürlich gibt es vereinzelt Frauen, die sagen, sie machen das gern. Aber das ist die absolute Minderheit. Die Regel sind finanzielle Notlagen, psychischer Druck, familiäre Abhängigkeiten oder frühere Gewalterfahrungen. Und die meisten machen es nicht nebenbei, sondern hauptberuflich, oft mangels Alternativen. Ich wählte den Weg, weil ich mit als alleinerziehende Mutter schlicht weg nicht Abend für Abend noch zusätzlich zum Hauptjob noch kellnern konnte. Das bisschen Geld durfte ich dann noch mit der Babysitterin teilen. Für einen Stundenverdienst von 200 Euro hätte ich gut und gerne 3-4 Abende kellnern müssen. Einmal in diesem System drin, wird es schwer, jemals wieder auf herkömmliche Verdienstmöglichkeiten zurück zugreifen.
Um mich nicht völlig zu verlieren, habe ich mir irgendwann ein Ehrenamt gesucht. Es war meine Möglichkeit, Einfluss auf die Realität zu behalten. Ein Ort, an dem ich gesehen wurde, nicht als Ware, nicht als Dienstleisterin, sondern als Mensch mit Haltung, mit Meinung, mit Bedeutung.
Anfangs war es schwer. Ich saß oft da und rechnete durch, was mich dieser Tag „kostet“, weil ich dafür nicht arbeiten konnte. Aber ich habe es durchgezogen. Und heute weiß ich: Es hat mir mein Leben gerettet. Dieses Ehrenamt war mein Anker. Und meine Kinder.
Denn auch wenn ich manchmal nach einem Treffen einfach nur zusammenbrechen wollte – erschöpft, gedemütigt, leer – wartete zu Hause ein Alltag. Kinder mit Fragen, mit Bedürfnissen, mit Leben. Und das hat mich im Hier und Jetzt gehalten. Ich konnte nicht völlig abdriften. Ich war gezwungen, weiterzumachen. Nicht im Sinne von „funktionieren“, sondern im Sinne von: Ich wurde gebraucht. Und das hat mich, glaube ich, gerettet.
Ich habe mich irgendwann gar nicht mehr frei in meiner Stadt bewegen können. Ich hatte ständig Angst, dass mich jemand sieht. Dass ich zu oft irgendwo parke, dass ich mit einem Mann zu oft an einem Ort bin, dass jemand Fragen stellt. Ich bin wie auf Zehenspitzen gelaufen. Immer unter dem Radar bleiben, immer in Bewegung, immer unauffällig. Und genau das hat mich mürbe gemacht. Ich war nicht mehr frei. Ich war ständig auf der Flucht, vor Blicken, vor Gerüchten, vor mir selbst.
Trotzdem habe ich gemerkt, wie sich etwas in mir verändert hat. Ich wurde gereizter. Manche Nachrichten von Freiern machten mich aggressiv. Und trotzdem war da dieses paradoxe Gefühl: Die werden eh wieder schreiben. Es hört nie auf. Es gibt immer Bedarf.
Doch das stimmte nicht. Nach einem knappen Jahr flaute es ab. Die Quelle versiegte. Die vielen Anfragen wurden weniger. Ich hatte ja am Anfang erwähnt: Neu sein ist gefragt. Aber ich war nicht mehr neu. Selbst manche Stammfreier verschwanden einfach, ohne Erklärung, ohne Abschied.
Also ging ich mit dem Preis runter. Ich fing an, Tabus zu brechen. Nicht, weil ich das wollte sondern weil ich musste. Ich rutschte immer weiter ab.
Dabei war mein Plan von Anfang an ein anderer gewesen: Nur eine Weile durchhalten, Geld sparen, aufhören. Aber ich hatte nie etwas auf der hohen Kante. Immer habe ich auf etwas hin gespart: auf die Jugendweihe, auf ein neues Handy für mein Kind, auf ein Kleid für mich. Und dann war das Geld sofort wieder weg.
Irgendwann ging es nur noch ums Überleben. Ich musste anschaffen, damit der Kühlschrank voll ist. Mein Einkommen reichte nicht. Miete, Strom, Fixkosten, alles ging davon ab. Und obwohl ich gearbeitet hatte, blieb am Ende: fast nichts.
Wir hatten uns über das Jahr an einen bestimmten Lebensstandard gewöhnt – und ich konnte ihn nicht mehr halten.
Nicht ohne tiefer zu gehen.
Immer tiefer.
Die psychischen Belastungen, die durch eine längere Tätigkeit in der Prostitution entstehen, sind vielschichtig und sie zeigen sich bei vielen betroffenen Frauen in ähnlicher Weise. Ein häufig auftretendes Symptom ist eine zunehmende Reizbarkeit. Viele Frauen berichten, dass sie mit der Zeit emotional abstumpfen, schneller aggressiv reagieren und Schwierigkeiten haben, zwischen privatem und beruflichem Kontaktverhalten zu unterscheiden. Die Grenze zwischen Nähe und Bedrohung verschwimmt, auch deshalb, weil die sexuellen Handlungen im Kontext von Geld nicht auf echter Intimität beruhen, sondern auf der Duldung fremder Ansprüche.
Frauen, die neben ihrer Tätigkeit in der Prostitution noch familiäre Verpflichtungen haben, etwa als Mütter, befinden sich in einem ständigen Spannungsfeld. Diese Doppelbelastung ist enorm, kann aber auch einen stabilisierenden Effekt haben. Der Alltag mit Kindern, Angehörigen oder auch einem sozialen Ehrenamt zwingt dazu, in der Realität verankert zu bleiben. Es gibt Hinweise darauf, dass gerade diese familiären oder sozialen Bindungen ein wichtiger Schutzfaktor sein können, nicht nur gegen psychische Instabilität, sondern auch beim Ausstieg. Frauen, die nichts mehr zu verlieren haben, haben oft auch keine Ressourcen, um sich aus dem Kreislauf zu befreien.
Ein weiterer psychologischer Faktor ist das Verhalten vieler Freier: Obwohl die Begegnung in der Regel eine klar definierte Dienstleistung ist, versuchen nicht wenige Männer, emotionale Nähe aufzubauen oder zumindest zu inszenieren. Sie geben sich einfühlsam, senden Komplimente, wollen Wiedererkennung. Doch paradoxerweise endet dieser Kontakt häufig abrupt. Ohne Erklärung, ohne Abschied, ohne Respekt. Für viele Frauen ist das eine doppelte Kränkung: Erst wird ein Gefühl von Wert oder Bindung aufgebaut, dann entzogen, als hätte man nie existiert.
Auch finanziell stellt sich bei den wenigsten Frauen eine nachhaltige Stabilität ein. Die weit verbreitete Vorstellung, man könne sich in kurzer Zeit ein finanzielles Polster aufbauen, entspricht in der Realität nur selten den Tatsachen. Die Einnahmen sind oft unregelmäßig, dazu kommen hohe Ausgaben: Kleidung, Kosmetik, Studiomiete, Fahrtkosten, Aufwendungen für Kinder oder Angehörige. Viele Frauen berichten, dass das Geld schneller weg ist, als es kommt. Häufig bleibt kein Puffer. Gespart wird meist für kurzfristige Ziele: eine Rechnung, ein Geschenk, eine Anschaffung. Ein längerfristiger Aufbau von Sicherheit findet kaum statt. Daraus entsteht ein dauerhafter finanzieller Druck, der den Ausstieg zusätzlich erschwert.
Während meiner Zeit in der Prostitution hatte ich zwei Beziehungen zu Männern, die beide von Anfang an wussten, was ich tue. Zunächst zeigten sie Verständnis, doch auf Dauer wurde es ein Problem. Die Eifersucht kam schleichend, aber verständlich. Für einen Partner ist es kaum zu ertragen, die körperliche Nähe der eigenen Freundin mit anderen Männern zu teilen, selbst wenn es beruflich ist. Und auch ich selbst konnte mit der Zeit kaum noch damit umgehen. Nach einem Moment echter Nähe, nach Zärtlichkeit oder Sex mit meinem Partner, folgte fast immer der emotionale Absturz. Ich wusste, dass kurz danach wieder ein Date anstand, mit einem Mann, den ich nicht riechen konnte, der mich ungefragt anfasste, der mich nicht als Mensch sah. Ich wollte das nicht mehr. Ich wollte nur noch von meinem Freund angefasst werden. Und genau das machte es unerträglich.
Mit der Zeit wurde ich in solchen Partnerschaften zunehmend depressiv, weinerlich, gereizt. Die ständige emotionale Diskrepanz zwischen dem, was ich wollte, und dem, was ich tun musste, war kaum auszuhalten. Nach meiner letzten Beziehung habe ich keine weitere mehr zugelassen. Ich konnte es nicht mehr. Es war zu viel.
Beziehungen sind in diesem Kontext kaum tragfähig. Der Wunsch nach emotionaler Nähe steht im ständigen Widerspruch zur beruflichen Realität. Viele Frauen berichten, dass sie in Partnerschaften schnell in ein Wechselbad aus Sehnsucht, Schuldgefühlen und Rückzug geraten oder sich ganz aus dem Beziehungsgeschehen zurückziehen. Statistisch gesehen führen nur sehr wenige Prostituierte eine dauerhaft stabile Partnerschaft. Eifersucht, Misstrauen und das Gefühl der Entwertung auf beiden Seiten sorgen dafür, dass Beziehungen oft kurzlebig sind – oder gar nicht erst eingegangen werden.
Auch gesundheitlich war die Belastung enorm. Ich war nie registriert und ging daher auch nicht regelmäßig zu offiziellen Gesundheitsuntersuchungen. Ich hatte meine Gynäkologin und einen Urologen, den ich häufig aufsuchen musste, weil ich ständig an Blasenentzündungen litt. Aber ich habe nie erzählt, was ich wirklich mache. Ich habe kein Vertrauen mehr in Ärztinnen oder Ärzte. Ich hatte das Gefühl, sowieso nicht ernst genommen zu werden. Und so lebte ich in permanenter Angst: Angst, mir etwas eingefangen zu haben. Angst, jemanden anzustecken. Angst, dass mein Körper irgendwann einfach nicht mehr mitmacht.
Ein großer Teil der Frauen in der Prostitution leidet unter psychischen und körperlichen Folgen. Viele zeigen Symptome, die typisch für chronischen Stress, emotionale Erschöpfung oder posttraumatische Belastung sind. In Befragungen berichten bis zu zwei Drittel der Frauen von wiederkehrenden depressiven Verstimmungen, Reizbarkeit, Schlafstörungen und einem gestörten Körperempfinden. Etwa jede zweite Frau entwickelt im Laufe ihrer Tätigkeit psychosomatische Beschwerden wie chronische Blasenentzündungen, Schmerzen im Unterleib oder Verdauungsprobleme.
Heute bin ich über eine Beratungsstelle in ärztlicher Behandlung. Die Blasenentzündungen sind chronisch geworden. Mein Unterleib macht mir dauerhaft Probleme. Und ich frage mich oft, wie eine Frau das überhaupt als „Vollzeitberuf“ ausüben kann. Ich könnte es nicht. Mein Körper würde es nicht mehr mitmachen.
In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, wie realitätsfern das Prostituiertenschutzgesetz eigentlich ist. Die gesetzlich geforderte Registrierung, die Sozialversicherungspflicht, sie alle suggerieren Sicherheit, Professionalität, Wahlfreiheit. Was ist mit denen, die krank werden, aber trotzdem weitermachen müssen? Die sich selbst keine Pause gönnen dürfen, weil sonst kein Geld reinkommt? Es ist ein System, das vorgibt zu schützen, aber in Wahrheit den Druck nur verschärft.
Besonders belastend wird die Situation, wenn Frauen die Tätigkeit in der Prostitution als alleinige Einkommensquelle ausüben müssen. Die wenigsten schaffen es, damit auf Dauer stabil zu leben. Viele geraten in einen Kreislauf aus körperlicher Überforderung, Angst vor Krankheiten und dem ständigen Druck, funktionieren zu müssen, auch dann, wenn der eigene Körper längst nach einer Pause schreit. Die durchschnittliche Verweildauer in der Prostitution wird auf etwa fünf bis sieben Jahre geschätzt. Vollzeit arbeiten in diesem Bereich allerdings nur wenige über einen längeren Zeitraum hinweg. Viele fallen aus, wechseln in verdecktere Formen der Prostitution oder verlassen die Szene krank und verschuldet.
Hinzu kommt ein strukturelles Problem: Viele Frauen fühlen sich im medizinischen und behördlichen Kontext nicht ernst genommen. Die Angst vor Stigmatisierung, Diskriminierung oder unangenehmen Fragen führt dazu, dass Beschwerden verschwiegen werden, selbst dann, wenn sie offensichtlich sind. Viele Betroffene gehen jahrelang nicht zu offiziellen Untersuchungen oder erzählen Ärztinnen und Ärzten nichts über ihre tatsächliche Lebenssituation. Auch bei Behörden ist das Misstrauen groß. Die Erfahrung, nicht geglaubt oder beschämt zu werden, sitzt tief.
Um die emotionale Belastung überhaupt ertragen zu können, greifen viele Frauen zu Strategien der Dissoziation: Inneres Abschalten, Abspalten vom eigenen Körper. Manche berichten davon, während eines Dates geistig „nicht da“ zu sein. Ich nehme es als eine Art Schweben wahr. Ich beobachte die Situation von oben herabschauend. Schmerzen nehme ich als etwas dumpfes wahr.
Andere greifen zu Alkohol, Medikamenten oder Beruhigungsmitteln, um sich betäuben zu können. Diese Muster sind keine Ausnahme, sie sind ein Überlebensmechanismus in einem System, das Grenzüberschreitungen zur Normalität erklärt.
Dass viele Frauen keine Hilfe suchen, hat nichts mit Gleichgültigkeit zu tun – sondern mit Angst, Scham und Resignation. Die Angst, das eigene Umfeld könnte es erfahren. Die Scham, nicht stark genug gewesen zu sein. Die Resignation, dass ohnehin niemand helfen kann. Diese Gefühle sind es, die Frauen oft jahrelang im System halten. Auch dann, wenn sie innerlich längst nicht mehr wollen. Wie oben schon erwähnt, haben Frauen in der Prostitution oft ein gestörtes Verhältnis zum medizinischen System. Viele erleben im Kontakt mit Ärztinnen und Ärzten nicht Schutz oder Unterstützung. Ihnen wird Abwertung, Distanz oder gar Spott entgegengebracht. In Situationen, in denen sie besonders verletzlich sind: bei gynäkologischen Untersuchungen, Schwangerschaftsverdacht oder Schmerzen im Intimbereich, sind sie auf Einfühlungsvermögen und Diskretion angewiesen. Doch nicht selten erleben sie das Gegenteil. Hätte ich es nicht selbst schon mehrfach erlebt, könnte ich es selbst kaum glauben.
Eine Erfahrung hat sich besonders eingebrannt: Der Verdacht auf eine Schwangerschaft – trotz Verhütung – war für mich ein Ausnahmezustand. Mir war ständig schlecht, ich fühlte mich körperlich schwach, und obwohl sich später herausstellte, dass es eine Corona-Infektion war, wollte ich Sicherheit. Meine reguläre Frauenärztin war im Urlaub, also musste ich zu einer Vertretung.
Die Ärztin wirkte forsch, aber zunächst professionell. Sie konnte beim Ultraschall nichts erkennen und schlug einen Bluttest vor. Doch selbst nach mehreren Versuchen gelang es weder der Arzthelferin noch der Ärztin, mir Blut abzunehmen. Mein Kreislauf brach zusammen, ich musste mich hinlegen. In diesem Zustand körperlich angeschlagen, emotional überfordert machte die Ärztin plötzlich einen Witz auf meine Kosten. Sie sagte, sie würde bei mir keine Abtreibung vornehmen wollen, weil man mir ja nicht einmal Blut abnehmen könne. Und sie lachte.
Was für sie vielleicht eine flapsige Bemerkung war, war für mich ein Schlag ins Gesicht. Sie machte sich lustig über einen Moment existenzieller Angst über die Möglichkeit, schwanger zu sein, nicht zu wissen, von wem, und die Aussicht auf einen medizinischen Eingriff, den ich selbst kaum verarbeiten konnte. Ich fing an zu weinen, schlagartig, reflexartig. Und sie praktiziert heute vermutlich noch immer.
Solche Erlebnisse hinterlassen Spuren. Sie reißen altes Misstrauen wieder auf oder zementieren es endgültig. Für viele Frauen ist das Gesundheitssystem kein sicherer Ort. Es ist ein weiterer Bereich, in dem man sich erklären, rechtfertigen, entblößen muss, nicht nur körperlich, sondern auch emotional. Die Folge ist Rückzug. Keine Vorsorgeuntersuchungen. Keine offenen Gespräche mit ÄrztInnen. Und wieder einmal das Gefühl: Ich bin allein.
Dadurch fehlen nicht nur Arbeitsschutz, sondern auch klare Zuständigkeiten bei Krankheit, Mutterschutz oder Schwangerschaftsabbruch. Wird eine Prostituierte schwanger, stellt sich eine Vielzahl von Fragen: Wer trägt die Verantwortung? Gibt es Anspruch auf Mutterschutzgeld? Auf Beratung? Auf finanzielle Unterstützung? In der Realität ist der Zugang zu solchen Leistungen oft verwehrt.
Nachwort
Was ich erlebt habe, ist kein Einzelfall. Es ist Teil eines Systems. Und dieses System betrifft uns alle, nicht nur die Frauen, die direkt darin gefangen sind.
Ich selbst hatte jahrelang ein Bild von „richtigen Prostituierten“, das aus Klischees bestand: Minirock, Stöckelschuhe, Drogenabhängigkeit, Bordellzimmer mit rotem Plüsch, Frauen, die am Straßenrand auf Kundschaft warten. Dieses Bild hat mir geholfen, mich abzugrenzen. Denn ich war ja nicht so. Ich war doch nur auf einer Plattform angemeldet. Ich war doch nur Escort. Eine, die selbstbestimmt handelt, mit Preisvorstellungen und Regeln. Keine „echte Hure“.
Dass ich längst Teil desselben Mechanismus war, habe ich lange nicht sehen wollen. Dass auch Pornodrehs dazugehören, OnlyFans, Sockenverkäufe, scheinbar harmlose Angebote. All das sind Spielarten derselben Ausbeutung. Es gibt keine klaren Grenzen. Es gibt keinen sauberen Einstieg. Und meistens auch keinen echten Ausstieg.
Wenn selbst ich Schwierigkeiten hatte, das Wort „Prostituierte“ auf mich anzuwenden, obwohl ich genau das war wie sollen es dann Außenstehende erkennen? Wie sollen sie verstehen, dass es keine Rolle spielt, wie man es nennt? Escort, Hobbyhure, Content Creator, es ist nichts anderes als Schönwäscherei. Verpackungen, die kaschieren sollen, was es in Wahrheit ist: Eine Ausbeutung von Körper und Seele.
Und auch wer glaubt, dieses Thema gehe einen nichts an, irrt sich.
Viele Männer auf Dating-Apps und Online-Plattformen haben längst gelernt, Grenzen zu überschreiten. Sie suchen nicht nur Abenteuer, sie suchen Machtausübung. Viele von ihnen haben irgendwann einmal Sex gekauft. Und wenn es nur ein einziges Mal war: Sie haben eine Schwelle überschritten. Und diese Grenzverschiebung bleibt.
Nicht jeder Freier erkennt sich selbst als solcher. Nicht jeder, der Geld bezahlt, sieht sich als Täter. Aber viele entwickeln ein perfides Verhältnis zu Konsens, zu Nähe und zu Frauen allgemein. Deshalb betrifft Prostitution nicht nur die Frauen, die sie leisten, sondern auch die, die es niemals tun würden. Es betrifft Partnerinnen, Mütter, Töchter, Schwestern. Denn auch im eigenen Umfeld können Freier sein. Sie tragen keinen Stempel. Sie tragen oft keine Schuldgefühle. Sie tragen manchmal sogar einen Ehering.
Der „typische Freier“ ist kein schmieriger Typ im karierten Hemd mit Bierbauch. Es sind Männer, die mitten unter uns leben. Männer, denen man nichts ansieht. So wie man einem Mann auch nicht ansieht, ob er zu Gewalt fähig ist.