
Neben Dr. Jakob Drobnik, Marie Kaltenbach vom Bundesverband Nordisches Modell e.V., Marlene vom Netzwerk Ella, Marie Jordan von Solwodi e.V. und Manuela Schon brachte auch Sisters einen Beitrag aus der Praxis ein. Adele Mieschner aus der Ortsgruppe Leipzig lieh ihre Stimme einer Aussteigerin und einer Fachperson aus der Beratung und las die folgenden Statements vor:
Heute Abend habe ich zwei Statements mitgebracht, eins einer Frau aus der Fachberatung und das einer Aussteigerin, die zum Zeitpunkt der Befragung noch aktiv in der Prostitution war.
Wir beginnen mit der Frau aus der Fachberatung, welche folgendes Schreiben bereits während der laufenden Evaluation an das KfN sandte:
„Sehr geehrte Damen und Herren,
mein Name ist Sabine K., ich bin Sozialpädagogin und Systemische Therapeutin. Ich führe im Rahmen des Prostituiertenschutzgesetzes Beratungen nach §10 (Gesundheitliche Beratung) und §7 (Informations- und Beratungsgespräch) durch.
Ich möchte einige Anmerkungen zur Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes mit Ihnen teilen, insbesondere in Bezug auf den Fragebogen, der im Rahmen Ihrer Evaluation verwendet wurde.
Es ist aufgefallen, dass der Inhalt und die Länge des Fragebogens möglicherweise dazu führen, dass nicht alle betroffenen Frauen angemessen repräsentiert werden können. Besonders osteuropäische Frauen, die einen signifikanten Anteil der in der Prostitution tätigen Personen ausmachen, hatten Schwierigkeiten, den Fragebogen auszufüllen. Meine Kolleginnen und ich waren sehr bemüht, diesen gemeinsam mit den Frauen auszufüllen. Dafür haben wir teilweise 40 Minuten benötigt. Aufgrund der sprachlichen Barrieren und der oft kurzen Aufmerksamkeitsspanne konnten wir den Fragebogen jedoch nie vollständig durchgehen.
Am Ende der Evaluation gibt es Skalierungsfragen, in denen es auch um Gewalt geht. Es war den Frauen unmöglich, selbst mit Unterstützung einer Sozialarbeiterin, die Fragen in dem von Ihnen vorgesehenen Umfang zu beantworten.
Ich halte es für wichtig, dass die Evaluation so gestaltet wird, dass die Stimmen aller betroffenen Frauen einbezogen werden, um ein umfassendes und realistisches Bild der Situation von Frauen in der Prostitution zu erhalten. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Fragebogen, um ihn zugänglicher und inklusiver zu gestalten, könnte dazu beitragen, die Perspektiven dieser Frauen besser zu erfassen. Andernfalls werden in Ihrer Evaluation nur Personen in der Prostitution sichtbar und berücksichtigt, die Zugang dazu haben und in der Lage sind, diese umfassenden Fragen zu beantworten. Diese Frauen sehen wir jedoch leider selten in der Beratung.
Mit freundlichen Grüßen,
Sabine K.“
Die zweite Person ist eine der Personen, die im Sample überrepräsentiert sind: Staatsangehörigkeit Deutsch, Deutsch als Muttersprache, Schulabschluss und zwischen 31 und 40 Jahre alt.
„Ich habe zweimal am Fragebogen teilgenommen – einmal über eine Fachberatungsstelle, von der ich den Link bekommen habe, und ein weiteres Mal über ein Portal, auf dem ich Anzeigen geschaltet hatte. Dort hatten Administratoren die Links verteilt.
Da es einen Gutschein als Anreiz gab, ist es durchaus möglich, dass viele mehrfach teilgenommen haben. Ich muss ehrlich sagen: Ich habe es auch so gemacht. Ich war dabei zwar offen und ehrlich, fand die Fragen größtenteils gut gestellt und habe sie auch gewissenhaft beantwortet. Aber der Mann, der das Wohnungsbordell verwaltet hat, in dem ich damals angeschafft habe, hat ebenfalls teilgenommen – und zwar für mehrere Profile von Frauen. Wenn er dann 5–6 Fragebögen ausgefüllt hat, kann das die Ergebnisse natürlich massiv verfälschen.
Manche Fragen haben mich sehr verunsichert. Besonders die zur Sicherheit – etwa, ob es eine Notfallklingel gibt oder wie sicher ich mich fühle. Da hatte ich richtig Angst, ob man mich zurückverfolgen kann, ob das vielleicht ein Vorwand ist, um nicht angemeldete Prostitution aufzudecken. Wenn ich mich richtig erinnere, war sogar die erste Frage, ob man angemeldet ist. Das hat bei mir viele Ängste ausgelöst und ich fühlte mich beim Ausfüllen ziemlich gehemmt.
Eine Frage war auch, ob ich schon mal jemanden angezeigt habe oder anzeigen würde, wenn er mir etwas antut. Das war emotional sehr belastend, weil mir dabei bewusst wurde, wie unsicher das Ganze tatsächlich ist. Und dann stelle ich mir vor, wie es einer Frau gehen muss, die unter echtem Zwang steht – da lief mir schon beim Lesen der Fragen ein Schauer über den Rücken. Ich bezweifle, dass so eine Evaluation unter solchen Bedingungen ein realistisches Bild abgeben kann.
Auch sprachlich war der Fragebogen nicht ohne – ich erinnere mich an die Frage, ob ich Deutsch spreche. Ich frage mich, ob berücksichtigt wurde, dass Frauen ohne Sprachkenntnisse oder mit geringer Schulbildung wahrscheinlich große Schwierigkeiten beim Verstehen der Fragen hatten. Der ganze Fragebogen hat mindestens 15 Minuten gedauert und war auch kognitiv fordernd. Man brauchte schon eine gewisse Konzentration und einen gewissen Bildungshintergrund.
Am Ende sollte man noch schreiben, was sich ändern müsste, um die Bedingungen für uns zu verbessern. Aber da ist man schon völlig getriggert, erschöpft und will einfach nur den Gutschein bekommen.
Wer nimmt sich da noch die Zeit, eine durchdachte Antwort zu schreiben?“
Mit über 200 Teilnehmerinnen war die Veranstaltung sehr gut besucht und gab einen ausführlichen Überblick über die Evaluation und das verzerrte Bild über die Realität der Prostitution. Es wurde mehr als deutlich, warum diese nicht allein für politische Entscheidungen herangezogen werden sollte.
Weitere Informationen und die Übersicht über die ganze Veranstaltung und die Beiträge der anderen Sprecherinnen sind auf der Website des Bündnis gegen Menschenhandel und IZwangs-I Prostituion Ludwigsburg (https://www.buendnisludwigsburg.de/) zu finden.